Stolz und Abschreckung - Kremlchef Putin feiert größte Militärparade Von Ulf Mauder, dpa

Mit Soldaten, Panzern, Raketen und internationalen Gästen feiert
Kremlchef Wladimir Putin die größte Militärparade der russischen
Geschichte. An der Waffenschau zum 75. Jahrestag des Sieges über
Hitler-Deutschland gibt es aber auch Kritik.

Moskau (dpa) - Als Oberbefehlshaber der stolzen Atommacht läuft
Russlands Präsident Wladimir Putin schon seit Tagen zur Höchstform
auf. Gerade hat er zum 75. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion über
Hitler-Deutschland eine große Militärkirche eröffnet. Zudem schrieb
er einen großen Aufsatz über die Lehren des Zweiten Weltkrieges.
Darin warnte der 67-Jährige einmal mehr davor, die Verdienste der
Roten Armee bei der Befreiung Europas von den Nazis in den Schmutz zu
ziehen. Und nun trotz Corona-Pandemie der Höhepunkt des
Kriegsgedenkens: die größte Militärparade der russischen Geschichte.


Mehr als 13 000 Soldaten marschierten in Parade-Uniform bei
Bilderbuch-Wetter auf dem Roten Platz zu Live-Musik eines
Militärorchesters auf. Auf der Tribüne nahm ein sichtlich zufriedener
Kremlchef im Beisein von Kriegsveteranen und internationalen Gästen
die bombastische Waffenschau ab. Panzer, Luftabwehrsysteme und
natürlich atomar bestückbare Interkontinentalraketen rollten an den
Kremlmauern vorbei - der Stolz der russischen Streitkräfte und eine
Abschreckung für den Feind. Passend zum Jubiläum glänzten 75
Flugzeuge und Hubschrauber der Luftstreitkräfte am Himmel.

Das Gedenken an die 27 Millionen Opfer der Sowjetunion im Zweiten
Weltkrieg sei in Russland heilig, betont Putin auch an diesem
sommerlichen Tag. «Wir sind unbesiegbar, wenn wir vereint sind»,
sagte er schon am Tag des Sieges am 9. Mai - damals noch im Regen. Da
verzichtete er wegen der Corona-Pandemie noch auf große
Feierlichkeiten. Nun - sieben Wochen später - sieht die Lage an der
Corona-Front kaum besser aus. Trotzdem dreht sich in Russland seit
Tagen alles um Ruhm und Ehre.

Mit einem von Putin angestoßenen Gesetz soll nun auch Kindern in der
Schule die Ehrung der Kriegshelden frühzeitig beigebracht werden.
Schon seit langem versucht der Präsident mit seiner
nationalpatriotischen Politik, das Land auf Grundlage der Erinnerung
an den großen Sieg zu einen. Die Geschichte samt Heldengedenken sei
der «Klebstoff» der Gesellschaft, schreibt die Moskauer Denkfabrik
Carnegie-Center in einer Analyse. Kritiker werfen Putin dagegen eine
rückwärtsgewandte Politik vor.

In Moskau riss die Debatte über den Sinn der Parade in Zeiten der
Corona-Pandemie nie ab. Die Weltgesundheitsorganisation warnte vor
dem Infektionsrisiko bei Massenveranstaltungen. Viele russische
Städte sagten die Paraden wegen der Gefahr ab. Auch die meisten
eingeladenen ausländischen Gäste blieben fern. Der kirgisische
Präsident Sooronbaj Scheenbekow landete zwar in Moskau, kam aber
nicht zur Feier, weil es zwei Corona-Fälle in seiner Delegation gab.

Putin - wie die meisten Teilnehmer ohne Schutzmaske - meinte zuletzt,
die Siegesfeiern seien ein besonderes Zeichen der Wertschätzung für
die Opfer des Krieges und für ihre Angehörigen. Er begrüßte mehrere

Kriegsveteranen persönlich. Der neue Termin für das Fest lag ihm am
Herzen: Am 24. Juni 1945 gab es unter dem Sowjetdiktator Josef Stalin
die erste Parade nach Kriegsende. Ein historisches Ereignis.

Doch nicht nur wegen des Coronavirus ist der Aufmarsch umstritten. In
der Kritik stehen die Kosten für die Parade von geschätzt 925
Millionen Rubel (rund 12 Millionen Euro). Kremlkritiker halten solche
Ausgaben für die Demonstration militärischer Stärke in Zeiten
schwerster wirtschaftlicher Probleme für unverantwortlich. Der von
den Panzern zerstörte Asphalt, der Treibstoff und die
Sicherheitsvorkehrungen - das alles komme den Staat teuer zu stehen,
meinte der Anti-Korruptions-Kämpfer Alexej Nawalny.

«Und dann rechnen Sie noch die Ausgaben für die Behandlung all jener
Menschen dazu, die sich durch diese unsinnige Parade während des
Höhepunkts der Epidemie anstecken», meinte der Kremlgegner. Er hatte
immer wieder kritisiert, Putin gehe es nur um die schönen Bilder und
nicht um die Gesundheit der Menschen. Die Stadt Moskau empfahl den
Bürgern zwar, sich das Spektakel lieber im Fernsehen anzuschauen.
Trotzdem gab es Zehntausende Schaulustige auf den Straßen.

Für Putin ist das Großereignis im Beisein internationaler Gäste nach

Wochen der Isolation in seiner Vorstadtresidenz aber auch eine
Rückkehr auf die Bühne der Weltpolitik. Er warb einmal mehr für ein
internationales Sicherheitssystem, damit Gefahren für die Welt
abgewendet werden könnten.

Für Putin geht es nun weiter mit umstrittenen Massenveranstaltungen.
Am 1. Juli ist die Abstimmung über die historische
Verfassungsänderung angesetzt, die ihm dauerhaft die Macht sichern
soll. Am 26. Juli ist das nächste große Kriegsgedenken geplant: der
Marsch des «Unsterblichen Regiments». Dabei tragen Hunderttausende
Porträts ihrer Angehörigen aus den Kriegstagen durch die Straßen.