Kabinett beschließt Programm für deutsche EU-Ratspräsidentschaft

Die Corona-Pandemie hat das Programm für die deutsche
EU-Ratspräsidentschaft ziemlich durcheinandergewirbelt. Die
Krisenbewältigung überlagert nun alles.

Berlin (dpa) - Die Bundesregierung will an diesem Mittwoch (9.30 Uhr)
das Programm für ihre EU-Ratspräsidentschaft beschließen, in deren
Mittelpunkt ab 1. Juli die Überwindung der Corona-Krise stehen wird.
Weiterer Schwerpunkt des sechsmonatigen deutschen Vorsitzes in der
Europäischen Union wird der Abschluss der Verhandlungen über den
Austritt Großbritanniens aus der EU sein. Daneben wird es um
Klimaschutz, Digitalisierung und die Positionierung Europas zwischen
den Großmächten China und USA gehen.

«Gemeinsam Europa wieder stark machen», hatte Bundeskanzlerin Angela
Merkel bereits in der vergangenen Woche als Motto der Präsidentschaft
ausgegeben. «Die Pandemie zeigt uns: Unser Europa ist verwundbar»,
sagte sie. Deshalb seien Zusammenhalt und Solidarität noch nie so
wichtig wie heute gewesen.

Den dicksten Brocken der Präsidentschaft würde die Bundesregierung am
liebsten gleich zu Beginn abräumen. Auf einem Gipfel Mitte Juli soll
ein Programm für den wirtschaftlichen Wiederaufbau in der EU nach der
Corona-Krise beschlossen werden. Auf dem Tisch liegt ein Vorschlag
für einen schuldenfinanzierten Konjunktur- und Investitionsplan im
Umfang von 750 Milliarden Euro. Davon sollen 500 Milliarden Euro als
Zuschüsse an die EU-Staaten fließen, der Rest als Kredite. Die
Schulden sollen bis 2058 gemeinsam aus dem EU-Haushalt abbezahlt
werden.

Gegen den Vorschlag der EU-Kommission stemmen sich bisher noch
Österreich, Dänemark, Schweden und vor allem die Niederlande. Das
Wiederaufbauprogramm soll zusammen mit dem EU-Haushaltsrahmen für die
Jahre 2021 bis 2027 im Umfang von 1,1 Billionen Euro verhandelt und
beschlossen werden

Spätestens im Herbst müssen dann die Verhandlungen mit Großbritannien

über ein Handelsabkommen abgeschlossen werden, damit es vor
Jahresende ratifiziert werden kann. In den ersten vier Runden seit
dem britischen EU-Austritt Ende Januar hat es keine Fortschritte
gegeben. In einer Übergangsfrist bis zum Jahresende gehört
Großbritannien noch zum EU-Binnenmarkt und zur Zollunion. Gelingt
kein Vertrag über die künftigen Beziehungen, könnte es Anfang 2021
zum harten wirtschaftlichen Bruch mit Zöllen und anderen
Handelshemmnissen kommen.

Das Programm für die Ratspräsidentschaft enthält aber noch zahlreiche

andere Themen, von den Bemühungen um eine gemeinsame Asylpolitik über
den Ausbau einer europäischen Verteidigungspolitik bis zu
sozialpolitischen Themen wie einem EU-Rahmen für Mindestlöhne.
Wieviel davon abgearbeitet werden kann, ist angesichts der
Corona-Krise völlig unklar. Die eingeschränkten Möglichkeiten
physischer Treffen wird die Arbeit erschweren.

Vor der Kabinettssitzung forderten der Deutsche Gewerkschaftsbund
(DGB) und mehrere Organisationen die Bundesregierung auf, sich für
eine «umfassende Finanztransaktionssteuer» einzusetzen. Die Regierung
müsse dies zu einem Schwerpunkt ihrer Präsidentschaft machen, heißt
es in einer Erklärung von DGB, «Brot für die Welt», Greenpeace, Oxf
am
und anderen Gruppen. «Wir fordern die Bundesregierung dabei auf, bei
der Bewältigung der Corona-Pandemie auch die Folgen in den ärmeren
Teilen der Welt in den Blick zu nehmen und dafür erhebliche
zusätzliche Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.»

Neben dem EU-Programm will das Kabinett am Mittwoch Hilfen zur
Sicherung von Ausbildungsplätzen in der Krise auf den Weg bringen.
Firmen, die trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten weiter wie bisher
oder sogar noch mehr ausbilden, sollen Prämien vom Staat bekommen.
Außerdem soll es Zahlungen für Unternehmen geben, die Azubis von
Betrieben übernehmen, die in der Pandemie Insolvenz anmelden müssen.

Ein weiteres Thema sind staatliche Leistungen für Familien. Diese
sollen künftig leichter beantragt werden können. Nach Angaben von
Familienministerin Franziska Giffey (SPD) will das Kabinett Pläne auf
den Weg bringen, wonach Eltern künftig mit einem gemeinsamen Antrag
über das Internet die Geburtsurkunde, das Elterngeld, das Kindergeld
und den Kinderzuschlag beantragen können.