Soziologe: Polizei sollte auf Randale flexibel reagieren

Welchen Kurs soll die Polizei nach den Ausschreitungen in Stuttgart
einschlagen? Ein Soziologe rät von generellen Vorgaben für härteres
Vorgehen der Polizei ab.

Stuttgart (dpa) - Die Polizei sollte nach Ansicht eines Soziologen
Randale wie in Stuttgart anpassungsfähig begegnen - und nicht
pauschal mit harter Hand. «Die Polizei sollte angemessen reagieren
und auch flexibel entscheiden können, ob sie ein Auge zudrückt oder
entschlossen reagiert, wenn eine Grenze überschritten wird», sagte
Dieter Rucht vom Vorstand des Instituts für Protest- und
Bewegungsforschung in Berlin. Wenn aber Menschen verletzt oder Läden
zertrümmert werden - wie in Stuttgart passiert -, müssten die Beamten
ihrer Dienstpflicht nachkommen.

Bei offenen Situationen helfe eine «Haudraufmentalität» dagegen
nicht, sondern führe vielmehr zur Solidarisierung Unbeteiligter,
erläuterte der Professor. Auch von restriktiven Maßnahmen, wie das
Alter für den Erwerb von Bier mit derzeit 16 Jahren heraufzusetzen,
hält Rucht nichts. Dies widerspreche Überlegungen, das
Erwachsenwerden immer weiter nach vorne zu verlegen, etwa bei Wahlen.
«Verbote wecken nur Neugier.»

Macho-Gehabe, Missachtung von Regeln und Allmachtsgefühle gehören
laut dem Wissenschaftler zur männlichen Sozialisation. Zum Teil werde
das Über-die-Stränge-Schlagen ritualisiert. Als Beispiel nannte Rucht
die Bonfire-Tradition in Großbritannien und USA, bei der es bei
großen Feuern zur Protesten gegen Autoritäten komme. Auch Karneval
trage Züge von ritualisiertem Bruch mit Konventionen.

Angesichts der Corona-Lockerungen sei das zum Teil bemühte Argument
schwach, dass sich der Wunsch nach mehr Freiheiten in Stuttgart mit
Gewalt Bahn gebrochen habe. Die Menschen könnten bereits ein Stück
weit feiern und hätten die Aussicht auf weitere Lockerungen, meinte
der Professor. Bestünde ein Zusammenhang zwischen Randale und
Corona-Einschränkungen, wäre das Phänomen schon in anderen deutschen

Städten oder im Ausland bekannt geworden. Rucht sieht Schule und
Eltern in der Pflicht, jungen Menschen Selbstkontrolle beizubringen:
«Die gehört zum Erwachsenwerden wie das Brechen von Regeln.»