«Eigentlich wären wir jetzt auf Mallorca» - Corona und die Reeperbahn Von Christopher Hirsch, dpa

Der Kiez um die Hamburger Reeperbahn erwacht langsam aus dem
Corona-Schlaf. Doch wie vertragen sich die Corona-Regeln mit einem
Viertel, das für Sünde und Ekstase steht?

Hamburg (dpa) - Eigentlich will Lea tanzen. Doch in «Susis Show Bar»
am Beatles-Platz zwischen Hamburger Reeperbahn und Großer Freiheit
ist nichts mit Show. Statt Tabledance, serviert die groß gewachsene
Blondine Getränke - in Dessous und mit Mundschutz. «Natürlich wünsc
ht
man sich, auf die Bühne zu gehen», sagt sie. «Deswegen sind wir ja
auch eigentlich hier.» Doch mehr als eine kleine Drehung beim
Servieren ist gerade nicht drin.

Viele Besucher kommen auf den Kiez, weil sie hier über die Stränge
schlagen können. Die coronabedingten Vorsichtsmaßnahmen und
Sicherheitsabstände treffen das Viertel deshalb besonders hart. Doch
der Kiez kämpft.

«Wir sind der erste Laden auf der Freiheit, und wir müssen natürlich

auch ein bisschen Flagge zeigen», sagt Christian Schnell,
Geschäftsführer von «Susis Show Bar». Wirtschaftlich rentiere sich

die Wiedereröffnung vor rund vier Wochen nicht. Maximal 35 Gäste
dürften sich in der Bar aufhalten - ein Drittel der eigentlichen
Kapazität. Aber es fehlten ohnehin noch die Gäste, vor allem die
Touristen. Etwa ein Fünftel des üblichen Umsatzes mache er. Statt 20
arbeiten aktuell nur fünf Frauen. Es sei ein Kampf, den sie
aufgenommen hätten, sagt Schnell. «Und den werden wir auch
durchziehen.»

Seitdem Mitte Mai Restaurants und Kneipen unter Auflagen wieder
öffnen konnten, kommen zumindest allmählich wieder mehr Menschen und
auch Touristen auf den Kiez. Das bestätigt auch die Polizei. Die
Besucherzahlen seien aber im Vergleich zur Zeit vor Corona niedriger.
Und so schlendern zwar Pärchen und kleinere Gruppen über die
Reeperbahn, normalerweise wären die Bürgersteige an einem lauen
Sommerabend aber wesentlich voller.

150 Meter weiter befindet sich das «Pink Palace» auf der Reeperbahn.
Die 55 Zimmer des Bordells sind seit Mitte März verwaist. Er komme
nur vorbei, etwa um die Post durchzugehen, sagt Geschäftsführer
Thorsten Eitner. «Momentan ist einfach nur Abwarten.» Zu Anfang habe
er die Entwicklung rund um die Corona-Pandemie noch ständig im
Fernsehen verfolgt, mittlerweile mache er das aber nicht mehr. Selbst
wenn eine Öffnung wieder erlaubt sein sollte, wolle er nichts
überstürzen. Zurzeit fehlten ohnehin noch die Club-Gänger und
Touristen.

Um die Ecke in der Kultkneipe «Zur Ritze» sitzen Kirsten Markgraf und
Andreas Wegenhoff am Tresen. Sie sind für drei Tage in Hamburg und
kommen aus dem Ruhrgebiet. «Da darf man zum Beispiel gar nicht am
Tresen sitzen», sagt Wegenhoff. Sie seien froh, dass das hier
zumindest mit Abstand möglich sei. In dem Lokal hängen signierte
Fotos von Kiezgrößen und Prominenten dicht an dicht - neu sind die
Absperrungen aus rotem Flatterband und die mit Folie improvisierten
Trennwände. Wegenhoff scheint das nicht zu stören. «Sehr, sehr
schön», finde er es. «Eigentlich wären wir jetzt auf Mallorca», s
agt
Kirsten Markgraf. Hamburg sei der Ersatzurlaub.

Im Ersatzurlaub sind auch Frank und Viola Meyer aus der Nähe von
Heidelberg. Sie hatten eigentlich nach England reisen wollen.
Stattdessen lassen sie sich nun hinter der «Ritze» von Michael
Gremliza die Geschichte des Lokals erzählen - früher ein Treffpunkt
von Rotlichtgrößen. Gremliza bietet zusammen mit seinem Partner Sven
Jakobsen als «Kiezjungs» Touren über die Reeperbahn an. Seine anderen

beiden Kunden - Michael Fechtner und Heike Koch aus Essen - wären
jetzt eigentlich auf Fuerteventura. Beide seien auch schon vor Corona
auf dem Kiez gewesen. Was jetzt anders ist? «Ist total leer», sagt
Heike Koch.

Das bekommt auch «Kiezjung» Gremliza zu spüren. «Wenig Gäste, abe
r
die waren zufrieden», sagt er nach der Tour. Statt vier Teilnehmern,
hätten die «Kiezjungs» vor Corona auch Touren mit 100 Leuten gehabt.

Seit rund vier Wochen sind Stadtführungen in Hamburg wieder erlaubt.
Es kämen mehr Anfragen, aber aufholen können man die Verluste nicht
mehr. «Das Jahr ist kaputt, völlig», sagt Gremliza. Bei unter zehn
Prozent des üblichen Umsatzes seien sie aktuell. Von unter zehn
Prozent Umsatz im Vergleich zum Vorjahresmonat spricht auch Uwe
Schindzielorz, Geschäftsführer von «Unser Hamburg», das
Stadtführungen in ganz Hamburg anbietet.

Während Bars und Kneipen unter Auflagen wieder geöffnet haben, ist
das Tanzen in Clubs weiter untersagt. «Das trifft einen natürlich
total ins Mark», sagt Sebastian Rübsam, genannt Baster. Er ist
Inhaber der «Komet Musik Bar» in einer Parallelstraße der Reeperbahn,

wo er normalerweise auch Platten auflegt. Stattdessen empfängt er mit
Mundschutz die Gäste und reicht ihnen Listen für deren Kontaktdaten.
Gut ein Dutzend Besucher haben sich auf die Sitzplätze verteilt. Die
Tanzfläche ist leer.

Seit Anfang Juni hat der «Komet» mit Barbetrieb wieder geöffnet.
Gefragt nach der schwierigsten Corona-Auflage, nennt Baster wie
andere Barbetreiber auch, die Regel, dass sich nur Personen zweier
Haushalte treffen dürfen. Er hoffe, dass diese Auflage wie zuvor
schon in anderen Bundesländern bald auch in Hamburg falle.