Haus für Haus und Tür für Tür: Die Corona-Jäger von Kuba Von Guillermo Nova, dpa

Die Karibikinsel verfügt weder über moderne Labore noch über die
neueste Medizintechnik - dafür aber über das wohl dichteste Ärztenetz

der Welt. Im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie setzt Kuba deshalb auf
eine althergebrachte Methode: Hausbesuche.

Havanna (dpa) - In Deutschland will die Regierung die grassierende
Corona-Pandemie mit einer Handy-App eindämmen, andere Länder setzen
auf großflächige Tests oder Wärmebildkameras zur Fiebermessung von
Passanten. Kuba hat einen anderen Ansatz: Tag für Tag gehen auf der
Karibikinsel Tausende Ärzte und Medizinstudenten von Tür zu Tür und
suchen nach Infizierten. «Wir fragen sie, ob sie Fieber haben, Husten
oder andere Symptome, die auf Covid-19 hindeuten», erklärt die
Studentin Sheila Zaldívar bei einem dieser Kontrollgänge in einem
Viertel im Westen der Hauptstadt Havanna.

Insgesamt hat die kubanische Regierung mehr als 28 000
Medizinstudenten in die Schlacht gegen das Coronavirus geworfen. Vor
ihren Einsätzen werden sie in den 25 Medizin-Fakultäten des Landes in
der Erkennung der Symptome geschult, dann ziehen sie gemeinsam mit
den Ärzten los. Dabei setzen sie darauf, dass die Menschen ehrlich
sind und Beschwerden tatsächlich anzeigen. «Aber ein Arzt sieht auch,
ob eine Person Fieber hat oder sich schlecht fühlt. Es ist schwer, da
zu lügen», glaubt die Ärztin Yulideikis Rodríguez.

Im autoritären Kuba sind die Menschen an soziale Kontrolle und harte
Eingriffe in ihre Privatsphäre mittlerweile gewöhnt. Im Kampf gegen
das Dengue-Fieber kommen Trupps des Gesundheitsministeriums
beispielsweise regelmäßig in jedes Haus und jede Wohnung und
versprühen Insektizide. Wer sich weigert, dem drohen empfindliche
Geldstrafen. Auch in der Coronakrise fackeln die Behörden nicht
lange: Wer gegen die Maskenpflicht in der Öffentlichkeit verstößt,
muss 3000 Pesos (rund 100 Euro) zahlen - das entspricht etwa dem
Vierfachen des monatlichen Durchschnittsgehalts in Kuba.

Die kubanischen Mediziner profitieren vor allem davon, dass sie ihre
Patienten üblicherweise sehr gut kennen. Das ganze Land ist von einem
engmaschigen Netz aus Nachbarschaftspraxen überzogen: Alle paar
Straßenzüge hat ein Allgemeinmediziner seine Praxis und betreut die
Bewohner der umliegenden Blocks. Auf Antonio beispielsweise hat
Ärztin Rodríguez in diesen Tagen ein ganz besonderes Auge. «Schon vor

diesem Virus war ich in Behandlung», sagt der Asthmatiker. Jetzt
kommt er jeden Tag in die Arztpraxis, um mit einem Aerosol zur
Verbesserung der Lungenfunktion behandelt zu werden.

Nach offiziellen Angaben haben sich in Kuba nur etwa 2300 Menschen
nachweislich mit dem neuartigen Coronavirus infiziert, gut 80
Patienten sind im Zusammenhang mit der Lungenkrankheit Covid-19
gestorben. Nachdem es zuletzt kaum noch neue Todesfälle gab, sagte
Präsident Miguel Díaz-Canel, die Lage sei unter Kontrolle.
Regierungskritiker hingegen ziehen die offiziellen Angaben in
Zweifel. «Wir vertrauen den Daten der Regierung nicht», sagte der
Arzt Eduardo Cardet im oppositionellen Radiosender Martí.

Kuba ist stolz auf sein Gesundheitswesen und die kostenlose
Versorgung aller Bürger. Mit 59 Ärzten je 100 000 Einwohnern hat Kuba
nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die höchste Dichte
an Ärzten weltweit. In Deutschland kommen 34 Mediziner auf 100 000
Einwohner, weltweit sind es im Durchschnitt gerade mal 13. Zuletzt
schickte Kuba sogar noch Ärztebrigaden beispielsweise nach Italien,
um beim Kampf gegen das Coronavirus zu helfen.

Der massive Personaleinsatz kann allerdings nicht darüber
hinwegtäuschen, dass es an moderner Medizintechnik oftmals mangelt.
Das wird in der Corona-Krise nun besonders deutlich: Gerade mal 2000
Test kann die sozialistische Karibikinsel pro Tag durchführen - und
auch das nur dank einer Spende aus China. Wenn dennoch ein
Corona-Patient identifiziert wird, kommt er in ein Krankenhaus. Alle
Kontaktpersonen müssen für 14 Tage in eine Quarantänestation.

«Die Schwierigkeit liegt bei den asymptomatischen Patienten. Wenn sie
keine Symptome zeigen, ist es schwierig, sie zu identifizieren», sagt
Medizinstudent José Ángel Aquino. Der Vertreter der Panamerikanischen
Gesundheitsorganisation, José Moya, hält die kubanische Methode
dennoch für effektiv: «Sie erlaubt es, Personen mit
Covid-19-Symptomen schnell zu identifizieren, die Infektionsketten
zügig zu durchbrechen und die Patienten bereits früh zu behandeln, um
schwere Krankheitsverläufe zu vermeiden.»