Der Corona-Hotspot in NRW und die Sommerferien - Urlaub adé? Von Yuriko Wahl-Immel, dpa

Die Sommerferien stehen vor der Tür. Könnte sich der
Corona-Massenausbruch bei einem Schlachtbetrieb in
Nordrhein-Westfalen zum Reisehindernis auswachsen? Und werden
Urlauber aus der Region im Kreis Gütersloh zum Risiko?

Rheda-Wiedenbrück (dpa) - Viele Menschen fiebern nach Reiseverzicht
an Ostern und wochenlangen Einschränkungen ihrem Sommerurlaub
entgegen. Doch im bevölkerungsreichsten Bundesland
Nordrhein-Westfalen schafft ein Corona-Massenausbruch im
ostwestfälischen Kreis Gütersloh gut eine Woche vor Beginn der
Sommerferien neue Unsicherheit. Droht mit Beginn der Reisezeit eine
schnelle Ausbreitung des Virus, wird der Kreis Gütersloh mit 370 000
Einwohnern demnächst in einem Atemzug mit Ischgl genannt?

Dürfen Bewohner aus dem Kreis Gütersloh verreisen?

Wissenschaftler Max Geraedts von der Uni Marburg appelliert zur
Zurückhaltung bei denjenigen, die zuletzt Kontakt zu den 7000
Quarantäne-Betroffenen nach dem Corona-Ausbruch mit mindestens 730
Neuinfizierten im Schlachtbetrieb des Branchenriesen Tönnies in
Rheda-Wiedenbrück hatten. «Jeder, der hier ein Infektionsrisiko bei
sich sieht, sollte eine Urlaubsreise möglichst etwas verschieben»,
rät der Leiter des Instituts für Versorgungsforschung und Klinische
Epidemiologie. Den Gesundheitsämtern werde es nicht gelingen, in den
den wenigen Tagen bis NRW-Ferienbeginn alle zu ermitteln -
entsprechend sei auch Eigenverantwortung gefragt.

Wer ein Infektionsrisiko habe, solle jedenfalls nicht in Länder mit
schwach aufgestelltem Gesundheitssystem reisen, betont Geraedts.
«Gefährlich wäre es, auf ein Kreuzfahrtschiff aufzusteigen.» Dass d
er
Kreis Gütersloh zum Risikogebiet werden könnte wie der
österreichische Wintersportort Ischgl, befürchtet der Experte nicht.

Welche Gefahr geht womöglich von dem Hotspot in NRW aus?

Das Virus könne sich von dem Betrieb in Rheda-Wiedenbrück sehr
schnell ausbreiten, sagt Epidemiologe Hajo Zeeb. Das lasse sich
durchaus verhindern, aber dafür müsse man konsequent reagieren.
«Angesichts der sehr hohen Infektionszahlen wären sehr weitgehende
Beschränkungen nötig. Ich bin überrascht, dass sich die Restriktionen

bisher nur auf Schulen und Kitas im Kreis beziehen.» Der Forscher aus
Bremen sieht einen «sehr dezidierten Anlass» dafür, das öffentliche

Leben im Kreis wieder deutlich herunterzufahren. Zum Verreisen meint
er: «Supergünstig ist das jetzt nicht. Eigentlich müsste man alle
Kontaktpersonen identifizieren und 14 Tage warten, ob keine Infektion
stattgefunden hat.»

Welche Rolle spielen vorbeugende Maßnahmen? 

Einen Lockdown für den gesamten Kreis will der dortige Krisenstab
verhindern. «Zum jetzigen Zeitpunkt halten wir das nicht für geboten.
Bis dato ist es ein sehr eingrenzbares Ausbruchsgeschehen. Ob das so
bleibt, werden wir sehen», erläutert ein Kreissprecher. Einen
Lockdown halten aber manche für geboten.

Der Kreis Gütersloh sei angesichts bisher getroffener Maßnahmen nicht
besorgt, dass sich das Virus über Urlaubsreisende in anderen Teilen
Deutschlands oder in anderen EU-Ländern ausbreiten werde, betont der
Sprecher. «Wir haben keine Bauchschmerzen dabei, unsere Leute reisen
zu lassen.» Ein Massentest vor Beginn der Ferien bei 370 000 Menschen
sei nicht möglich. Landrat Sven-Georg Adenauer ist dem Sprecher
zufolge auch mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und dem
NRW-Gesundheitsministerium im Austausch. Das Düsseldorfer Ministerium
geht von einer «geringen Betroffenheit in der Allgemeinbevölkerung
des Kreises Gütersloh» aus, wie ein Sprecher mitteilt.

Wie sehr hilft die Quarantäne vor der Reisezeit?

Bei den rund 7000 Menschen, die unter Quarantäne stehen, handelt es
sich um eine heterogene Gruppe. Betroffen sind alle Personen, die auf
dem Werksgelände gearbeitet haben, darunter Arbeiter aus Rumänien und
Bulgarien, viele Ortsansässige mit Familie daheim, die in
verschiedenen Kommunen wohnen. Die Einhaltung der Quarantäne zu
kontrollieren, obliegt vor allem den Kommunen - und ist extrem
schwierig, sagt auch der Kreissprecher. Klar ist: Je weniger die
Quarantäne-Auflagen eingehalten werden, desto größer ist die Gefahr
der Virusausbreitung - eine zentrale Frage also auch vor anstehenden
Urlaubsreisen.

Was sagen die Menschen vor Ort?

Viele im Kreis sind verärgert, vor allem wegen geschlossener Schulen
und Kitas. Auch aus angrenzenden Kommunen werden schon besorgte
Stimmen laut, das Virus aus dem Kreis Gütersloh werde sich schnell
verbreiten, etwa aus Schulen. In Bielefeld verhängten einige
Krankenhäuser einen Besucherstopp. Margareta Nicoläi aus
Rheda-Wiedenbrück klagt: «Es ist schlimm.» Sie werde wegen Corona
nicht in den Urlaub fahren: «Wir haben Angst vor einer Ansteckung
hier, aber auch im Ausland.»