«Kaum aushaltbar»: Schulen und Kitas wieder zu im Kreis Gütersloh Von Stella Venohr, dpa

Geschlossene Schulen und Kindertagesstätten und hunderte Infizierte
sorgen für Wut und Unverständnis bei den Menschen im ostwestfälischen

Kreis Gütersloh. Die Verantwortung für den Corona-Ausbruch sehen
viele bei dem Schlachtereibetrieb Tönnies.

Rheda-Wiedenbrück (dpa) - Elena Engenhorst steigen die Tränen in die
Augen. Ihr Sohn spielt an einer Wasserstelle. Der Fünfjährige hüpft
mit seinen Gummistiefeln auf und ab. Daneben steht der Kinderwagen
mit dem anderen Sohn. «Der Große war erst eine Woche wieder in der
Kita und abends beim Einschlafen hat er mich noch gefragt, was wohl
am nächsten Tag in der Kita Schönes passieren wird», so die junge
Mutter. «Und jetzt muss ich ihm erklären, dass er wieder nicht
hingehen darf.» Sie habe Angst, dass die Spielplätze auch wieder
zumachen. «Wir Erwachsenen können diese soziale Distanz akzeptieren,
aber für unsere Kinder ist das kaum aushaltbar», sagt die Mutter.

Nach dem Corona-Ausbruch beim Fleischindustrie-Riesen Tönnies im
Kreis Gütersloh herrschen bei vielen Unsicherheit und Wut.
Deutschlands Marktführer bei der Schlachtung von Schweinen hat seit
Mittwoch einen deutlichen Anstieg der Coronavirus-Infiziertenzahl
unter den Beschäftigten in Rheda-Wiedenbrück vermeldet - auf
inzwischen mindestens 730. Für rund 7000 Menschen wurde eine
Quarantäne verfügt, Schulen und Kitas im Kreis wurden geschlossen.
Bis zu den Sommerferien im bevölkerungsreichsten Bundesland
Nordrhein-Westfalen Ende nächster Woche gibt es nur eine Notbetreuung
für Kinder.

Auch Paulina Twardowski ist besorgt. «Ich bleibe zurzeit zu Hause, um
meine zweijährige Tochter zu betreuen», so die alleinerziehende
Mutter. Sie sei an ihrer Belastungsgrenze. «Das wird eine sehr
anstrengende Zeit für mich und die Kleine.»

Für Dirk Ködding von der Grundschule Neisseweg in Gütersloh kam die
Nachricht der Schulenschließung völlig überraschend. «Wir sind alle

tieftraurig», so der Schulleiter. «Vor allem die Viertklässler tun
mir sehr leid, denn für die wird es nun keinen normalen Abschied
geben.» Bei den Kleinen seien Tränen geflossen. Auch einige Eltern
hätten sich bereits bei der Schule gemeldet. «Da gibt es nun viele
Unsicherheiten besonders in Bezug auf die Notbetreuung», sagt
Ködding. Diese werde aber stattfinden.

Der Corona-Ausbruch ist im Kreis ein großes Gesprächsthema. So auch
bei Lara Köppikus. Die 17-Jährige hat erst vor kurzem ihr Fachabitur
gemacht. «Ich habe von dem Vorfall bei Tönnies bei Facebook gehört»
,
so die Schülerin. «Da gab es viele Posts und Nachrichten.» Sie selb
st
mache sich nicht so große Sorgen zu erkranken. Dennoch wolle sie sich
nun wieder häufiger die Hände desinfizieren.

Auch bei Friseur Abdullah Yildiz dreht sich nun alles um den
Corona-Ausbruch bei dem Schlachtereibetrieb. «Die Kunden, die da
waren, haben alle nur darüber gesprochen», so der 34-Jährige. «Wir

mussten wegen Corona schon sechs Wochen zumachen und haben Angst,
dass das wieder passiert.» Viele Läden hätten nicht so große
Rücklagen. um die Krise zu überbrücken.

«Ich wollte mich eigentlich zum 1. August selbstständig machen», so
der Friseur. «Keine Ahnung, wie das nun gehen soll.» Außerdem habe er

Sorge, wie bei den Arbeitern bei Tönnies die Quarantäne eingehalten
werden solle. «Das sind 7000 Menschen, wie soll das kontrolliert
werden?» Tönnies hätte diesen Ausbruch verhindern müssen, schließ
lich
habe der Konzern riesige Macht in der Region, sagt er.

«Mich macht das traurig, denn das ist eine Katastrophe für die
Stadt», sagt auch Jürgen Holtkamp, der draußen vor einer Kneipe sitzt

und eine Cola trinkt. «Mir tun die Mitarbeiter bei Tönnies leid.» Die

Arbeitsbedingungen seien «furchtbar», glaubt er. Das sieht auch sein
Freund Andreas Kersting so. Für die beiden Männer trägt Clemens
Tönnies als Unternehmer die Verantwortung für den Corona-Ausbruch.