Traditionsevents im Norden wegen Corona viel kleiner oder gar nicht

Corona-Prävention statt Hochkultur, Heavy-Metal-Kult und
Volksfest-Trubel: Schleswig-Holsteins diesjähriger Festivalsommer
sieht ganz anders aus als jahrzehntelang üblich. Er fällt aber auch
nicht ganz ins Wasser.

Kiel (dpa/lno) - «Die Kieler Woche 2020 ist eröffnet!» Tausende
bejubeln diese Botschaft auf dem Rathausplatz und stürzen sich dann
in die Neun-Tage Festwoche an der Förde. So sollte es sein an diesem
Samstagabend. Corona hat das verhindert. Auch die anderen
traditionellen Sommerereignisse in Schleswig-Holstein mussten ihre
Pläne völlig über den Haufen werfen. Wie haben die Veranstalter
reagiert? Hier eine Übersicht zu ausgewählten Events:

KIELER WOCHE: Mehr als drei Millionen Gäste aus aller Welt kommen
normalerweise in der letzten Juni-Woche, darunter tausende Segler,
hunderte Musiker, Kleinkünstler, Matrosen, Unternehmer, Politiker.
Die Stadt reagierte auf die Corona-Pandemie mit einer Verlegung
(5.-13. September) und unter dem Motto «Zurück zu den Wurzeln» mit
einem weitgehenden «Eindampfen» des Programms auf das Segeln. Auf
zusätzliches Personal konnte die Stadt in diesem Jahr verzichten.

An den Planungen ändere auch die Entscheidung von Bund und Ländern
zur Verlängerung des Verbots von Großveranstaltungen nichts, hieß es

am Mittwochabend. «Segeln plus X' lautet in diesem Jahr unser
Kieler-Woche-Motto - und dabei bleiben wir», sagte Oberbürgermeister
Ulf Kämpfer (SPD). Das aktuelle Konzept basiere bereits auf den
Vorgaben, die bis zum 31. August gelten und nun verlängert wurden.
Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen werde es bei der Kieler
Woche ebenso wenig geben wie große Bühnen und Eventflächen. Die
Kontaktverfolgung werde gewährleistet, ein Hygienekonzept ist in
Arbeit.

«Wir feiern klein, aber fein», sagte Stadtsprecherin Kerstin
Graupner. Von lokalen Bands und Solo-Acts gibt es Konzerte an
besonderen Orten. Sie werden live gestreamt. Für Künstler, die
eigentlich auftreten sollten, musste die Stadt keine Gagenausfälle
bezahlen. Als Gründe nannte sie ihre eigene frühzeitige Reaktion und
die Kooperationsbereitschaft aller Partner.

Für das nächste Jahr zeigt sich Kämpfer optimistisch. Vielleicht
müsse die Stadt das Konzept noch einmal neu anpassen und
möglicherweise übernehme sie auch neue Elemente aus dem diesjährigen

Segelsport-Event, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. «Mit großer
Wahrscheinlichkeit wird es aber 2021 wieder die Kieler Woche sein,
die wir alle kennen und lieben - das größte Segelevent der Welt und
das größte Sommerfest im Norden Europas.»

SCHLESWIG-HOLSTEIN-MUSIK FESTIVAL: Deutschlands größtes Klassik-
Festival sollte vom 4. Juli bis zum 30. August stattfinden. Im April
warfen die Veranstalter wegen Corona das Handtuch. Über 200 Konzerte
an 126 Spielstätten waren geplant, fast 200 000 Tickets lagen bereit.
Intendant Christian Kuhnt gab nicht auf und entwickelte als kleinere
Alternative den «Sommer der Möglichkeiten». Das an Corona-Bedingungen

angepasste Programm ist live, im Radio, Fernsehen und Internet zu
erleben. Im Rahmen der rund 100 Aktionen macht der französische
Harfenist Xavier de Maistre als diesjähriger Porträtkünstler
musikalische Hausbesuche. Für die Komponisten-Retrospektive beziehen
dänische Künstler eine Carl-Nielsen-WG auf Gut Pronstorf. Das
Festivalorchester kommt in kleinerem Rahmen zusammen.

Das Eröffnungsfest mit de Maistre und Ex-Porträtkünstlern wie Sabine

Meyer (Klarinette), Martin Grubinger (Percussion) und Sol Gabetta
(Violoncello) wird vom NDR-Fernsehen auf Gut Hasselburg ohne Publikum
aufgezeichnet und am 5. Juli auf 3sat und NDR Kultur übertragen. Als
Ersatz für die «Musikfeste auf dem Lande» in Gutshöfen oder Scheune
n
fährt ein Musikfest-Trecker über Land. Künstler verwandeln den
Anhänger in ein mobiles Podium und fahren damit durch Dörfer und
Städte, um spontane Konzerte zu geben. Mit Zwischenstopps auf
Marktplätzen und Promenaden, vor Pflege- und Seniorenheimen oder
Krankenhäusern werden Anwohner und Passanten musikalisch überrascht.

Seit Absage des SHMF können alle 140 000 erworbenen Tickets
zurückerstattet werden oder man verzichtet darauf. Das Geld fließt in
einen Fonds für Festivalkünstler. Ausgefallene Konzerte mit Gregory
Porter, Tom Jones und Rolando Villazón werden 2021 nachgeholt.

WACKEN OPEN AIR: Die 75 000 Tickets für das als eines der größten
Heavy-Metal-Festivals der Welt geltende Wacken-Festival waren bereits
21 Stunden nach Beginn des Vorverkaufs vergriffen. Das Festival
sollte vom 30. Juli bis 1. August stattfinden. In diesem Sommer ist
definitiv keine Veranstaltung vor Ort geplant. «Daher bitten wir alle
Fans unter anderem aus Rücksicht auf die Bewohner und die
landwirtschaftlichen Flächen, das Dorf nicht zum Festivalzeitpunkt zu
besuchen», sagt ein Sprecher der Veranstalter. Das Team habe bereits
vor der Absage an digitalen Angeboten gearbeitet, um den Fans die
Wartezeit auf das Festival 2021 zu verkürzen.

Ein regulärer Vorverkauf ist für das nächste Wacken-Festival aktuell

aber nicht geplant. Denn der Großteil der Karten sei bereits durch
die Erstattung der Tickets für 2020 vergeben worden, sagte der
Sprecher. Eine Chance auf Karten gibt es für Metalfans aber noch. Auf
ihrer Webseite Wacken.com haben die Veranstalter ein Formular für
Ticket-Interessenten veröffentlicht. Die Rechte zum Ticketkauf sollen
verlost werden. «Durch die Idee der Verlosung soll die Fairness im
Erwerb von Tickets erhöht werden», sagte der Sprecher.

Der überwiegende Teil der Belegschaft des Veranstalters befindet sich
derzeit in Kurzarbeit, sagte der Sprecher. «Bezüglich der zahlreichen
Helfer sind wir uns schmerzhaft bewusst, dass leider ein großer Teil
der im Eventbusiness tätigen Menschen als Selbstständige vor
existenziellen Nöten steht, weil das bisherige staatliche
Rettungsnetz deren besondere Situation nicht oder kaum
berücksichtigt.» Ein staatlicher Rettungsschirm auch für die
Kulturbranche sei sinnvoll: «Gerade der Rock'n'Roll wird besonders
hart getroffen, da in diesem Genre bereits zu normalen Zeiten kaum
Subventionen fließen.»

EUTINER FESTSPIELE: Die 70. Saison (20. Juni - 3. August) sollte mit
Puccinis Oper «Madame Butterfly» und Jerry Hermanns Musical «Ein

Käfig voller Narren» gefeiert werden. Wegen Corona wurden die
traditionellen Opernfestspiele auf der Bühne im Schlosspark Mitte
April abgesagt. Die Jubiläumsspielzeit wurde auf 2021 verschoben.

Dann wird nach Angaben der Geschäftsführung unter anderem Carl Maria

von Webers Oper «Der Freischütz» auf dem Spielplan stehen. Sie wurd
e
1821 uraufgeführt. «Auch wegen der Aufführungsrechte konnten wir de
n
Spielplan für dieses Jahr nicht einfach um ein Jahr verschieben»,
sagte Geschäftsführer Falk Herzog. Als kleinen Vorgeschmack werde es
voraussichtlich im Herbst kleinere Konzerte auf der neuen Studiobühne
in der Opernscheune geben. Für die Veranstalter bedeutet die Absage
einen herben finanziellen Verlust. Zur Rückerstattung eines Großteils
der 12 500 verkauften Eintrittskarten kommen nach Festivalangaben
Honorare für bereits erbrachte Leistungen der Regieteams. 

«Solisten und Orchester mussten wir kündigen, weil wir als
Sommerbühne keine Kurzarbeit anmelden konnten», sagte Herzog. Für sie

gebe es aber voraussichtlich von der Landesregierung einen
finanziellen Ausgleich für die ausgefallenen Honorare. «Außerdem ha
t
die Schneiderei der Festspiele Gesichtsmasken genäht, die
zugunsten unserer Künstler verkauft werden», sagte Herzog.

KARL-MAY-SPIELE: «Unter Geiern - Der Sohn des Bärenjägers» lockte i
m
vergangenen Jahr mehr als 400 000 Besucher in die Kalkberg-Arena in
Bad Segeberg. Die Corona-Pandemie stoppte die Hoffnungen auf eine
Wiederholung des Besucherrekords. Statt einer Inszenierung «Der
Ölprinz» gibt es 2020 für Westernfans nur Backstage-Führungen in de
m
Freilichttheater, sagte Pressesprecher Michael Stamp. Für diesen
Sommer waren bereits rund 70 000 Karten im Vorverkauf abgegeben
worden. Sie können umgebucht oder zurückgegeben werden.

«Sobald die Umbuchungen abgeschlossen sind, bereiten wir den weiteren
Vorverkauf für 2021 vor», sagte Stamp. Die Premiere des «Ölprinzen
»
sei auf den 26. Juni 2021 verschoben. Danach gebe es Aufführungen bis
zum 5. September jeweils donnerstags bis sonntags. «Wir sind sehr
optimistisch, dass wir im nächsten Jahr wieder in gewohnter Weise
spielen können», sagte Stamp. «Unsere Besucher teilen unseren
Optimismus.»