Erneut Corona in Schlachthof, erneut Kritik an Fleischindustrie

Während das Land auf Lockerungskurs ist, zieht der Kreis Gütersloh
die Zügel bei der Corona-Eindämmung wieder an: Beim Fleischriesen
Tönnies gibt es einen größeren Ausbruch.

Gütersloh/Rheda-Wiedenbrück (dpa) - Als Reaktion auf einen
Corona-Ausbruch mit Hunderten Infizierten beim Fleischunternehmen
Tönnies in Rheda-Wiedenbrück sind im Kreis Gütersloh ab diesem
Donnerstag die Schulen und Kitas geschlossen. Bis zu den
nordrhein-westfälischen Sommerferien - Start 26. Juni - wird nur eine
Notbetreuung angeboten. Auf diese Weise hoffen Kreis und
Landesregierung, die Gefahr einer Ausweitung des Virus einzudämmen.

Bislang gehen die Behörden von einem «lokalen Ereignis» aus, das sich

auf die Mitarbeiter des Schlachtbetriebs begrenzen lasse. Landrat
Sven-Georg Adenauer (CDU) sprach deshalb von einer
«Vorsichtsmaßnahme». Einen allgemeinen Lockdown wolle man nicht. Im
ostwestfälischen Kreis Gütersloh leben rund 362 000 Menschen.

Am Mittwoch hatte Deutschlands Marktführer bei der Schlachtung von
Schweinen einen deutlichen Anstieg von Infiziertenzahlen unter den
Beschäftigten vermeldet. Bis zum Abend war die Zahl der positiv auf
das Corona-Virus getesteten Mitarbeiter auf 657 gestiegen. Landrat
Adenauer hat Quarantäne für rund 7000 Menschen verfügt. Dazu zählen

nach seinen Angaben die Beschäftigten auf dem Werksgelände, die
Infizierten sowie ihre unmittelbaren Kontaktpersonen.

Das Unternehmen Tönnies geht bislang davon aus, dass von
Heimaturlauben in Osteuropa zurückkehrende Beschäftigte das Virus
mitgebracht haben könnten. Ein weiterer Faktor für die Verbreitung
seien die kalten Temperaturen in den Zerlegebereichen.

Reaktionen von Kritikern der Fleischbranche kamen prompt: Der
Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestsg, Anton Hofreiter, nannte
die Zustände unhaltbar: «Die Gesundheit der Beschäftigten wird für

die Profite der Fleischbarone aufs Spiel gesetzt.»

Auch für die SPD ist nach dem erneuten Ausbruch in der
Fleischindustrie klar, «Geschäftsmodell und Infektionsgeschehen
hängen zusammen», wie die Vize-Vorsitzende der
SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast, sagte. SPD-Gesundheitsexperte
Karl Lauterbach sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe
(Donnerstag): «Das Hygienekonzept muss komplett versagt haben.»

Auch Greenpeace kritisierte, Branchengrößen wie Tönnies nähmen
massive Infektionsrisiken in Kauf und gefährdeten die ganze Region.
«Die Politik verkennt die Dimension des Problems. Die Produktion von
Billigfleisch funktioniert nur auf Kosten von Gesundheit, Tier und
Umwelt», teilte die Naturschutzorganisation mit.

Der Unions-Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus, der für den
Wahlkreis Gütersloh I im Bundestag ist, sagte dem «Westfalen-Blatt»
(Donnerstag), dass die Ursachen für das Infektionsgeschehen
aufgeklärt werden müssten. «Ein «Weiter so» mit dem Versprechen,
«Wir
werden in Zukunft alles besser machen», kann es bei Tönnies im
Interesse der Beschäftigten, aber auch aller Menschen im Kreis
Gütersloh nicht geben», so der CDU-Politiker.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sagte am Mittwoch
nach einem Treffen der Länderregierungschefs mit Kanzlerin Angela
Merkel (CDU), in dem unter anderem über das weiteren Vorgehen in der
Corona-Pandemie beraten wurde, man müsse «endlich über die Arbeits-
und Lebensbedingungen dieser Menschen reden». «Und ich finde, man
muss diese Arbeits- und Lebensbedingungen endlich unterbinden, weil
das haben weder die Tiere verdient, noch die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter verdient, noch wir Verbraucher.»

Der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann
(CDU) kündigte an, erneut in ganz NRW alle Schlachthofbelegschaften
mit Werkvertragsarbeitern auf das Virus testen zu lassen, um
festzustellen, ob es sich bei dem Ausbruch um eine Ausnahme handele
oder nicht. In den vergangenen Wochen war es an mehreren Standorten
in Deutschland, darunter auch beim Tönnies-Konkurrent Westfleisch im
Kreis Coesfeld, zu Ausbrüchen des Coronavirus gekommen.