Frühjahrsputz von Sinn bis Unsinn Von Irena Güttel, dpa

Die Tradition des Frühjahrsputzes ist aktuell wie nie. Mal ordentlich
die Wohnung zu reinigen, macht angesichts der Corona-Krise viel Sinn.
In Putzwahn muss aber niemand verfallen.

Nürnberg (dpa) - Im Moment verbringen wir gezwungenermaßen viel Zeit
zuhause - und plötzlich fällt manchem auf, wie schmutzig alles ist.
In den Ecken hängen Spinnenweben, Türen und Fenster sind von
schmierigen Fingerabdrücken übersäht, unter den Betten sammeln sich
die Staubmäuse und in der Sofaritze Chipsreste. Es ist höchste Zeit
für einen gründlichen Frühjahrsputz: Möglichst schön und heimelig

wollen wir es jetzt in unserer Umgebung haben. Und auch die
Gesundheit profitiert davon. Doch wieso pflegen wir eigentlich den
Brauch des Frühjahrsputzes? Eine Spurensuche:

SINN: «Ein sauberes Heim ist immer wichtig, für Allergiker und
abwehrgeschwächte Personen sowieso, aber auch für Gesunde», sagt
Heinz-Jörn Moriske vom Umweltbundesamt in Dessau-Roßlau. An den Staub
können sich seinen Angaben nach Giftstoffe und Mikroorganismen wie
Pilze und Bakterien heften. Wegen der Corona-Pandemie sei es zurzeit
besonders wichtig, Türgriffe und häufig angefasste Oberflächen
regelmäßig abzuwischen und täglich zu lüften. «Es ist ein Irrglau
be
zu meinen, dass man beim Lüften etwa Viren von außen in die Wohnung
trüge, im Gegenteil, das Lüften hilft, eventuell beim Niesen
freigewordene Viren gleich nach draußen abzutransportieren, bevor
sich andere im Haushalt anstecken», betont der Umwelthygieniker.

STRESS: Im normalen Alltag kommen wir nicht so oft zum Putzen wie
eigentlich nötig - und schämen uns dann, wenn Besuch kommt, für die
Staubschicht auf dem Bücherregal und die vielen Krümel unter dem
Esstisch. «Der Druck von außen ist vielfach da», sagt Brigitte
Weniger vom Bundesverband hauswirtschaftlicher Berufe in Bad
Schmiedeberg in Sachsen-Anhalt. Was sollen die Nachbarn sagen, was
die Schwiegermutter? In letzter Zeit hört man von Verwandten immer
wieder, wie praktisch ein Staubsaugerroboter ist. Ein Wink mit dem
Zaunpfahl?

HILFSMITTEL: 4 Prozent der deutschen Haushalte ließen im vergangenen
Jahr bereits ihre Böden von intelligenten Robotern saugen, wie eine
repräsentative Umfrage des Digitalverbands Bitkom ergab. Im Jahr
zuvor waren es noch 2 Prozent. Und auch die Ausgaben für Putz- und
Reinigungsmittel stiegen im vergangenen Jahr nach Angaben des
Nürnberger Marktforschungsinstituts GfK leicht auf im Schnitt rund
34,18 Euro. Wie im Vorjahr waren die größten Umsätze in den ersten
drei Monaten zu verzeichnen. Ob ein Zusammenhang mit dem
Frühjahrsputz besteht, können die Experten allerdings nicht sagen.

BRAUCH: Das große Reinemachen nach dem Winter hat nach Angaben der
Autorin Linda Thomas eine lange Tradition in vielen Kulturen. Bei den
Juden und den Christen sei dies vor dem Osterfest ein Symbol des
Neuanfangs. «Die Chinesen pflegen aber auch seit Jahrtausenden ihre
Häuser im Frühling gründlich zu putzen, um es von den Dämonen, die
im
Staub leben, zu befreien», sagt Thomas, die mehrere Bücher übers
Putzen geschrieben hat. Auch heute verspürten noch viele in den
ersten sonnigen Tagen den Impuls, sich von Spinnweben, Staub und
Schmutz zu befreien. «Entrümpeln, Aufräumen und Putzen sind
altbewährte Mittel, um auch innerlich wieder ins Lot zu kommen.»

GESCHLECHTERVERTEILUNG: Über die Monate häuft sich eine Menge
Hausarbeit an, vor allem in Familien mit kleinen Kindern. Da kann
Putzen zum puren Stress werden: Kaum sind die Böden gesaugt und
gewischt, tragen die Kleinen wieder Sandberge vom Spielplatz rein.
«Frühjahrsputz kann eine psychische Belastung sein», weiß Weniger.

Für die Frauen. Denn der Frühjahrsputz - wie der Haushalt insgesamt -
bleibt nach ihrer Erfahrung meist an den Frauen hängen, obwohl viele
von ihnen ebenso arbeiten wie der Mann. «Da herrscht immer noch das
traditionelle Rollenbild», sagt sie.

Die Psychologin Cornelia van den Hout betreut in ihrer Praxis im
hessischen Bad Nauheim viele junge Frauen, die von ihrem Alltag
überlastet sind. «Die Frauen stehen heute viel mehr unter Druck. Sie
wollen perfekt sein, das wird aber auch von ihnen erwartet», sagt
sie. «Sie stellen ihre Bedürfnisse hinten an, sie funktionieren nur
noch.» Die Psychologin hilft ihnen vor allem dabei, aus dem
Hamsterrad von Arbeit, Haushalt und Kinderbetreuung auszubrechen und
Prioritäten zu setzen. Sprich: den Wischmopp in der Ecke stehen zu
lassen und dafür lieber die Zeit für sich zu nutzen.

LIEBER SELBST: Nach einer Studie des Instituts der deutschen
Wirtschaft in Köln im Auftrag der Minijob-Zentrale aus dem
vergangenen Herbst steht gerade die Generation X, also die der
zwischen 1965 und 1980 Geborenen, unter Druck. 11,5 Stunden
verbringen diese täglich mit Arbeit, Haushalt und Kindern. Obwohl sie
dadurch kaum Freizeit haben, beschäftigen der Untersuchung zufolge
nur 7 Prozent eine Haushaltshilfe. Die Dunkelziffer in dem Bereich
ist allerdings hoch. Rund 300 000 Haushaltshilfen seien derzeit bei
der Minijob-Zentrale gemeldet, sagt Wolfgang Buschfort von der
Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See, zu der die
Minijob-Zentrale gehört. Dazu kämen etwa 500 000 gewerblich
Angemeldete. «Schätzungsweise 80 bis 90 Prozent arbeiten schwarz»,
sagt er.

UNSINN: Wegen der Corona-Pandemie muss niemand aus hygienischen
Gründen in Putzwahn verfallen. «Die ganze Wohnung regelmäßig und
flächendecken mit Desinfektionsmitteln zu reinigen, ist auch bei der
aktuellen Corona-Diskussion nicht erforderlich, ja sogar schädlich
für Mensch und Umwelt», warnt Umweltbundesamt-Experte Moriske.