Bauern fehlen Saisonarbeiter: «Keiner weiß, wer's machen soll» Von Christopher Weckwerth, dpa

Normalerweise kommen jedes Jahr rund 300 000 Saisonarbeiter auf
Deutschlands Felder. Doch wegen der Ausbreitung des Coronavirus sind
die Grenzen jetzt für ausländische Helfer geschlossen. Darunter
leidet nicht nur die Spargelernte.

Burgwedel (dpa) - Der Spargelbauer Jörg Heuer hat schnell reagiert:
Als die Bundesregierung vergangene Woche ankündigte, ausländischen
Saisonarbeitern wegen des neuen Coronavirus die Einreise zu
verweigern, charterte der 49-Jährige kurzerhand ein eigenes Flugzeug.
Für eine fünfstellige Summe, wie er sagt, ließ er rund 120 Rumänen

einfliegen, um seine Ernte - und damit sein Geschäft - zu retten.

Auf mehr als 100 Hektar Land baut Heuer bei Burgwedel in
Niedersachsen Spargel und Beeren an, in zweiter Generation, die
Eltern des 49-Jährigen haben den Hof 1981 gegründet. Mit dem Flieger
hat er einen Personalengpass bei der Ernte in diesem Jahr gerade noch
abgewendet. «Wir kommen zurecht», sagt er. In der Branche allerdings
gebe es dieses Jahr deutlich weniger Erntehelfer als sonst. Auch ihm
hätten viele bewährte Helfer diesmal abgesagt.

Spargel ist ein Luxusgemüse, man kann auch ohne ihn gut leben, auch
wenn das «weiße Gold» für viele zum Frühling dazugehört wie die

Ostereier. Für Heuer aber ist der Spargel die wirtschaftliche
Existenzgrundlage. «Wir leben von diesen drei Monaten», sagt Heuer
über die Ernte. «Das können wir nicht verlegen wie die Messen oder
ein Fußballspiel.»

Der Einreisestopp treffe Obst-, Gemüse- und Weinbaubetriebe, aber
auch größere Betriebe in der Tierhaltung «sehr hart», sagt auch der

Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied. Die
Einschränkungen müssten daher «so kurz wie möglich» gehalten werd
en.

Einige Obst- und Gemüsesorten drohen Rukwied zufolge sogar knapp zu
werden. «Die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln ist nicht gefährdet,
dennoch kann es durchaus bei verschiedenen Kulturen im Obst- und
Gemüsebereich zu Versorgungslücken kommen.» Die Verbraucher müssten

sich zudem auf höhere Preise einstellen: «Diese Verknappung wird auch
Auswirkungen auf den Preis haben.»

So weit will Bauer Heuer nicht gehen. Er geht davon aus, fast seine
gesamte Ernte einfahren zu können. Die Preise seien daher bisher auf
dem Niveau des Vorjahrs. «Da hat sich nix geändert.» Holger Hennies,

Vizepräsident des Landvolks, dem niedersächsischen Bauernverband,
sieht dagegen in dem Mangel an Saisonarbeitern «eine echte
Existenzbedrohung». Niedersachsen kann dabei stellvertretend für den
Spargelanbau gesehen werden, denn nirgendwo in Deutschland wird mehr
angebaut - rund 27 500 Tonnen Spargel wurden hier 2019 von den
Feldern geholt, gut ein Fünftel der gesamten deutschen Spargelernte.

Hennies betont, dass es schnelle Lösungen brauche, um Engpässe auf
den Feldern abzuwenden. Der Spargel müsse jetzt geerntet werden.
Aber: «Keiner weiß, wer's machen soll.» Ähnliches gilt für die
Aussaat anderer Gemüsesorten, etwa Brokkoli und Kohl.

Das Einreiseverbot für Saisonarbeiter gilt auf Anordnung des
Bundesinnenministeriums seit vergangenem Mittwoch. Und das sorgt auch
innerhalb der Union für Zoff. Vergangene Woche wandten sich
CDU-Agrarpolitiker aus den 15 Bundesländern außer Bayern in einem
Brief an Innenminister Horst Seehofer (CSU). Darin heißt es, die
Einreisebeschränkungen seien «kontraproduktiv» und stellten die
Landwirtschaft «vor eine nicht lösbare Aufgabe». Neben der Obst- und

Gemüsebranche würden auch Schlachtbetriebe darunter leiden.

In einem Brandbrief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) legen
Unionspolitiker nun nach - sie fordern eine Lockerung der
Einreisebeschränkungen für Saisonarbeitskräfte aus Rumänien und
anderen EU-Mitgliedstaaten. Die deutschen Landwirte müssten in den
nächsten Tagen entscheiden, welche Obst- und Gemüsesorten noch
angebaut und geerntet werden könnten, daher sei keine Zeit zu
verlieren, heißt es in dem Schreiben der Arbeitsgruppe Ernährung und
Landwirtschaft der Fraktion, das der dpa vorliegt. «Zur Wahrheit
gehört aber, dass unser Selbstversorgungsgrad bei Obst und Gemüse im
Schnitt zwischen nur 22 und 38 Prozent liegt.» Die Weichen für das
Angebot ab Sommer würden jetzt gestellt.

Das Agrarministerium setzt derweil auf Unterstützung aus dem Inland.
«Die Bauern alleine können das nicht schaffen», heißt es. «Wir
brauchen jetzt Menschen, die bereit sind, aushilfsweise in der
Landwirtschaft zu arbeiten.» Dafür wurden die Rahmenbedingungen
erleichtert: Saisonarbeiter können nun länger sozialversicherungsfrei
arbeiten - statt wie bisher 70 Tage sind jetzt 115 Tage möglich.

Doch wer soll die Arbeit machen? Mehrere Online-Plattformen helfen
bei der Vermittlung, um überhaupt noch Saisonarbeiter zu finden. Der
Bauernverband und der Gesamtverband der deutschen Land- und
Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände (GLFA) bieten diesen
Service jetzt kostenlos an. Auf einem anderen Portal der
Landwirtschaftskammern meldeten sich binnen Tagen bereits rund 1000
Interessierte.

Die Hilfsangebote freuen die Landwirte. Sie sind allerdings nur eine
Notlösung, wie Landvolk-Vize Hennies erklärt. «Spargelstechen ist
eine Technik, die muss man können. Da muss man auch eine gewisse
Leistung pro Stunde erbringen, und es muss eine vernünftige Qualität
dabei herauskommen», sagt er. Die Vorstellung, dass ungelernte
deutsche Helfer die Saisonkräfte aus Osteuropa ersetzen, hält er für

«nicht unmöglich, aber schwierig». Spargelbauer Heuer sagt, er setze

die Deutschen lieber im Verkauf und als Fahrer ein als auf dem Feld.

Auch in Brandenburg, mit Beelitz ebenfalls eine Spargel-Hochburg,
sind die ungelernten Helfer derzeit gefragt. Euphorie sei allerdings
fehl am Platze, sagt Andreas Jende, Geschäftsführer des
Gartenbauverbandes Berlin-Brandenburg. «Die Arbeit in der
Landwirtschaft ist nicht zu verwechseln mit der im heimischen
Kleingarten», erklärt er und warnt: «Es kann körperlich hart werden