Landwirte suchen Erntehelfer - Skepsis bei Klöckners Vorschlag Von Jörn Perske, dpa

Bauern in Hessen benötigen dringend Erntehelfer, zum Beispiel aktuell
fürs Spargelstechen. Die Idee, ungelernte Aushilfen einzusetzen, hat
Schwächen. Der Bauernverband gibt sich diplomatisch. Aber ein
Spargelbauer aus Südhessen spricht Tacheles.

Friedrichsdorf (dpa/lhe) - Der von der Politik empfohlene Einsatz von
fachfremden Erntehelfern erweist sich in der Praxis als
problematisch. «Wir sind dankbar für jede helfende Hand, weil wir
dringend Unterstützung benötigen. Aber die Idee ist nicht so einfach
umzusetzen, wie sich das manch einer denkt», sagte der Sprecher des
Hessischen Bauernverbands, Bernd Weber, auf Anfrage in Friedrichsdorf
(Hochtaunuskreis). Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner
(CDU) hatte vorgeschlagen, dass beispielsweise Beschäftigte aus der
Gastronomie, dem Einzelhandel und anderen wegen der Corona-Krise
notleidenden Branchen auf den Feldern eingesetzt werden könnten.

In Hessen und im weiteren Bundesgebiet fehlen massenhaft Erntehelfer,
weil Saisonkräfte wegen geschlossener Grenzen derzeit nicht mehr
anreisen können. Diese Grenzregelung gilt für die Einreise aus
Drittstaaten, aus Großbritannien, für EU-Staaten wie Bulgarien und
Rumänien, die nicht alle Schengen-Regeln vollumfänglich anwenden,
sowie für Staaten wie Österreich, zu denen Binnengrenzkontrollen
vorübergehend wieder eingeführt worden sind. Der Hessische
Bauernverband fürchtet wegen der ausbleibenden Saisonarbeitskräfte
Ernteausfälle bei Obst und Gemüse. Derzeit seien Helfer - vor allem
aus Osteuropa - bei der Ernte von Spargel und anderem Gemüse gefragt.

Nach Einschätzung des Bauernverbands besteht Bedarf in Höhe von 16
000 bis 17 000 Aushilfen. Die ersten fachfremden Erntehelfer seien
zwar schon im Einsatz in Hessen. Doch wie viele es sind und wie viele
noch fehlen - dazu konnte der Verband keine Angaben machen. In ganz
Europa fehlen nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums in
Berlin bis zu 300 000 Saisonkräfte.

Doch selbst wenn sich Erntehelfer melden, sei das Problem noch nicht
gelöst, sagte Weber. «Es ist eine besondere Herausforderung, in der
Landwirtschaft tätig zu sein. Das ist anstrengende Arbeit, derzeit
die Spargelernte. Dafür braucht man Einarbeitung, eine gewisse
Technik und Erfahrung. Das erledigen meist eingespielte Teams. Und
wenn jetzt zum Beispiel ein Bulgare oder ein Rumäne beim
Spargelstechen fehlt, der das seit zehn Jahren macht, dann braucht
man drei Deutsche, um die Arbeit zu erledigen.»

Die harte Feldarbeit sei nicht jedermanns Sache, sagte Weber. «Dafür
braucht man einen langen Atem. Aber man kann es auch als sportliche
Herausforderung begreifen und sich sagen: Ich ziehe das jetzt mal ein
paar Wochen durch.» Die Produzenten müssten sich halt auf die
Aushilfen verlassen können. «Das muss schließlich wie am Schnürchen

laufen und ist kein Job, den man mal ein paar Stunden machen kann.»
Die Spargelsaison läuft traditionell bis zum 24. Juni, dem
Johannistag.

Verbandssprecher Weber hofft, dass sich das Konzept der fachfremden
Erntehelfer bewährt. «Wir müssen das beobachten und können die Idee

noch nicht bewerten.» Wenige Wochen nach dem Beginn der Spargelernte
beginnt die Erdbeerzeit. Auch dafür werden Erntehelfer gesucht.

Für den Spargelhof Merlau in Darmstadt funktioniert das Konzept mit
fachfremden Erntehelfern nicht. «Fürs Sortieren der Stangen und alle
Arbeiten in der Halle sowie fürs Ausfahren mag das ja klappen. Aber
auf dem Feld überhaupt nicht. Und wenn es dort nicht klappt, haben
wir bereits am Beginn der Kette ein Problem. Frau Klöckner soll mal
herkommen und mir zeigen, wie das mit Kellnern, Studenten,
Asylbewerbern und anderen Ungelernten gehen soll», kritisierte Georg
Peter Merlau, der nach eigenen Angaben einen mittelständischen
Betrieb mit 80 Hektar Anbaufläche für Spargel führt. Er brauche 150
Saisonkräfte, habe aber aktuell nur ein Drittel.

Merlau betonte, Außenstehende sollten sich bezüglich der Feldarbeit
keine falschen Vorstellungen machen. «Es ist schwer, es ist kalt, es
ist nass, es ist schmutzig - und ständig in gebückter Haltung. Diese
Tätigkeit muss man gewohnt sein, um sie durchstehen zu können.»