Trump in der Corona-Krise: «Wir werden Tausende Menschen verlieren» Von Can Merey, dpa

Von Trumps einstiger Verharmlosungstaktik ist in der Corona-Krise
nichts mehr übrig geblieben. Stattdessen bereitet der US-Präsident
die Amerikaner auf harte Zeiten vor - mit vielen Toten.

Washington (dpa) - US-Präsident Donald Trump hat die Amerikaner wegen
der Corona-Epidemie auf historisch schwierige Zeiten und auf
dramatische Opferzahlen in naher Zukunft eingeschworen. «Die nächsten
zwei oder drei Wochen werden zu den schwierigsten gehören, die wir in
diesem Land jemals hatten», sagte Trump am Dienstagabend (Ortszeit)
im Weißen Haus. «Wir werden Tausende Menschen verlieren.» Das Weiße

Haus befürchtet nach einer Prognose zwischen 100 000 und 240 000 Tote

in den USA durch das Coronavirus - trotz Maßnahmen zur Eindämmung.

DRAMATISCHER ANSTIEG DER FALLZAHLEN

Die USA haben mehr bestätigte Fälle als jedes andere Land der Welt.
Die Verbreitung der Coronavirus-Epidemie in den USA hat sich zuletzt
dramatisch beschleunigt. So hatte die Zahl der bekannten Infektionen
erst am vergangenen Freitag die Marke von 100 000 überschritten. Bis
dahin waren rund 1500 Tote gemeldet gewesen. Am Mittwochnachmittag
(Ortszeit) überstieg die Zahl der bestätigten Infektionen die Marke
von 200 000, die Zahl der Toten lag bei mehr als 4360.

Die Werte der einzelnen Länder lassen sich wegen der
unterschiedlichen Testquoten und der erwarteten hohen Dunkelziffer
nur schwer vergleichen. Zudem hinkt der Vergleich der absoluten
Zahlen wegen unterschiedlicher Bevölkerungsgrößen. Gerechnet auf
100 000 Einwohner gibt es in Deutschland mehr nachgewiesene
Infektionen als in den USA.

TODESZAHLEN WIE IN «WELTKRIEGEN»?

Trump war bei der Pressekonferenz am Dienstagabend im Weißen Haus in
düsterer Stimmung - anders als noch in der vergangenen Woche, als er
die Parole vorgab, die USA sollten bis Ostersonntag wieder weitgehend
wie vor dem Virus funktionieren. «Ich denke, das ist absolut
möglich», sagt er damals. Er warnte zu dem Zeitpunkt vor allem vor
den Folgen für die US-Wirtschaft. Umgestimmt haben ihn nun Prognosen,
die Todeszahlen wie «in Weltkriegen» (Trump) vorhersagen.

DIE WIRTSCHAFT UND DIE SCHUTZMASSNAHMEN

Der Konflikt, den der US-Präsident auch am Dienstagabend wieder
deutlich machte: Es gibt Menschen in seinem Umfeld, die ihn dazu
drängen, die USA wieder als «open for business» zu erklären - also

als offen dazu, wieder Geschäfte zu machen. Denen gegenüber stehen
die Experten in der Coronavirus-Arbeitsgruppe des Weißen Hauses: Die
Koordinatorin und Ärztin Deborah Birx, und der Direktor des
Nationalen Instituts für Infektionskrankheiten, Anthony Fauci.

USA SOLLTEN AUF 100 000 TOTE VORBEREITET SEIN

Birx präsentierte die Prognose mit bis zu 240 000 Toten am
Dienstagabend bei einer Pressekonferenz mit Trump in Washington. Man
arbeite daran, die Zahl niedriger zu halten, betonte die Medizinerin.
Die schockierende Bandbreite sei aber im Bereich des Möglichen. Fauci
sagte auf die Frage eines Reporters, ob sich die Amerikaner auf 100
000 Tote einstellen müssten: «Die Antwort ist ja, so ernüchternd
diese Zahl ist. Wir sollten darauf vorbereitet sein.» Er hoffe
weiterhin, dass diese Zahl nicht Wirklichkeit werde.

TRUMP UND DIE WISSENSCHAFTLER

Birx und Fauci gelten inzwischen landesweit als Stimmen der Vernunft
in der Krise. Und auch wenn Trump sonst nicht bekannt ist als jemand,
der viel auf Wissenschaftler gibt - im Fall der Corona-Krise hört er
inzwischen auf sie, wie die Verlängerung der Schutzmaßnahmen bis Ende
April zeigt. Bemerkenswert war bei der Pressekonferenz am
Dienstagabend, wie oft er den beiden Experten das Podium überließ -
statt selber zweifelhafte Antworten zu geben, die exakt diese beiden
Mediziner in der Vergangenheit dann oft wieder zurückrudern mussten.

«WIR SIND IM KRIEG»

Trump sagte im Weißen Haus, ohne Maßnahmen zur Eindämmung des
Coronavirus wären nach Prognosen zwischen 1,5 und 2,2 Millionen Tote
in den USA zu befürchten gewesen. Er wisse, dass die Schutzmaßnahmen
seiner Regierung die Amerikaner vor Herausforderungen stellen würden.
Es sei aber eine «Frage von Leben und Tod», die Richtlinien zu
befolgen. «Wir sind im Krieg mit einem tödlichen Virus», mahnte
Trump, der inzwischen regelmäßig Kriegsvergleiche bemüht. «Es
passieren Dinge in diesem Land, wie wir sie noch nie erlebt haben.»
Auch US-Medien ziehen Vergleiche mit Kriegen und Katastrophen. Die
Zahl der Toten könnte in den kommenden Wochen und Monaten im
glimpflichsten Fall die der gefallenen Amerikaner in den Kriegen in
Korea und Vietnam übertreffen, schreibt etwa die «New York Times».

TRUMP UND DIE GRIPPE-VERGLEICHE

Trumps Meinungsumschwung mag auch darauf zurückzuführen sein, dass er
inzwischen selber Freunde hat, die mit Covid-19-Erkrankungen im
Krankenhaus liegen. Er erwähnt das jeden Tag, und er ist sichtlich
schockiert darüber. Nichts ist mehr übrig geblieben von Trumps
früherer Verharmlosungstaktik, als er versuchte, die Gefahren durch
das Virus herunterzuspielen. Die Vergleiche mit der Grippe, die er
noch in der vergangenen Woche heranzog, sind zumindest für den Moment
passé. «Es ist nicht die Grippe», sagt er nun. «Es ist bösartig.
»

IMMER NOCH EIN MANGEL AN TESTS

Trumps anfängliche Weigerung, die Gefahr durch das neuartige
Coronavirus ernstzunehmen, hat die USA wertvolle Zeit gekostet -
ebenso wie die Tatsache, dass das Land viel zu spät mit Tests in die
Spur kam. Dennoch ist Trump weiterhin nicht bereit dazu, Defizite im
Umgang mit der Krise einzuräumen. Am Dienstagabend betonte er erneut,
die USA hätten inzwischen mehr Menschen getestet als jedes andere
Land der Welt. Die Frage, warum trotzdem immer noch nicht jeder, der
einen Test benötige, diesen auch bekomme, beantwortete er nicht.
Dabei hatte Trump schon vor mehr als drei Wochen vollmundig
versprochen: «Jeder, der einen Test braucht, bekommt einen Test.»

EPIZENTRUM NEW YORK: HABEN DAS VIRUS UNTERSCHÄTZT

Im Zentrum der Epidemie in den USA steht weiterhin der Bundesstaat
New York. Dessen Gouverneur räumte im Kampf gegen das Virus
Versäumnisse ein. «Wir haben das Virus unterschätzt. Es ist stärker

und gefährlicher als wir erwartet haben», sagte Andrew Cuomo am
Dienstag bei seiner täglichen Pressekonferenz. «Ich bin müde davon,
dem Virus hinterherzurennen. Wir waren vom ersten Tag an hinten dran
und mussten aufholen - und so gewinnt man nicht.» Allein in der
Millionenmetropole New York starben bereits rund 1100 Menschen. Der
Arzt Craig Spencer sagte bei Fox News, er habe schon mitten in einem
Kriegsgebiet gearbeitet und viele Erlebnisse dieser Tage erinnerten
ihn daran. «Das ist eine Geschichte von der Front.» Spencer arbeitet
in einer New Yorker Notaufnahme, war für Ärzte ohne Grenzen in
Krisengebieten und hat eine Ebola-Erkrankung überlebt.