Pandemie-Gesetz im Landtag - Kritik von Ärzten, Pflegern und Juristen

Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen: Bei
der
Verabschiedung der Milliarden-Hilfe gegen die Folgen der Corona-Krise
galt das. Die Einschränkung von Grundrechten im Eilverfahren geht
allerdings nicht nur der Opposition im NRW-Landtag zu weit.

Düsseldorf (dpa/lnw) - Die Landesregierung bringt am Mittwoch (10
Uhr) ein umstrittenes Vorhaben in den nordrhein-westfälischen Landtag
ein: ein Epidemie-Gesetz, das Grundrechte massiv einschränken würde.

Die CDU/FDP-Koalition möchte verbindliche Durchgriffsrechte für den
Fall einer schlimmen Ausbreitung der Corona-Epidemie in NRW. Ihr
Gesetzentwurf sieht unter anderem Zwangsverpflichtungen von Ärzten im
Notfall vor. Außerdem sollen die Behörden berechtigt werden,
medizinisches Material sicherzustellen.

Nach den jüngsten Zahlen des NRW-Gesundheitsministeriums sind bereits
148 Menschen in NRW mit Coronavirus-Infektionen gestorben. Die Zahl
der Infizierten wächst weiter - zuletzt um gut 800 pro Tag in NRW.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte am Dienstag bei einer
Pressekonferenz zusammen mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet
(beide CDU) betont, es sei derzeit noch zu früh, aus sinkenden
Neuinfektionszahlen einen Trend zum Abflauen der Epidemie abzulesen.
«Es wird wohl bis nächste Woche dauern, bis wir klarere Aussagen zu
einem Trend machen können.»

Gegen das geplante Epidemie-Gesetz hat die Opposition ebenso wie
Rechtswissenschaftler, Ärzte- und Pflegeverbände massive - teils auch
verfassungsrechtliche - Bedenken geäußert. Die Vorsitzende des
Deutschen Gewerkschaftsbunds, Anja Weber, mahnte: «Das Gesetze der
Landesregierung schießt übers Ziel hinaus. Die Demokratie darf nicht
auf der Strecke bleiben.»

Der Ärzteverband Marburger Bund kritisierte: «Notstandsgesetze lösen

die tatsächlichen Probleme in den Krankenhäusern nicht.» In nie
gekanntem Ausmaß fehlten Schutzmaterial, Beatmungsgeräte und vor
allem Fachärzte mit intensivmedizinischer Zusatzqualifikation. Das
sei nicht in ein paar Wochenendkursen auszubilden, stellte der
Landesvorsitzende Michael Krakau fest.

Allen Widrigkeiten zum Trotz arbeiteten Ärztinnen und Ärzte seit
Wochen intensiv. «Anstatt Wertschätzung für unseren Einsatz zum
Ausdruck zu bringen, das hohe Engagement der Klinikmitarbeiter zu
loben und sie zu bitten, weiterhin alles Menschenmögliche zu tun,
greifen Politiker gerade auf unsinnige Zwangsinstrumente zurück»,
kritisierte Krakau. Das Gesetzesvorhaben sei geprägt von einer
Misstrauenskultur, die in der derzeitigen Corona-Pandemie völlig
unbegründet und kontraproduktiv sei. «Wir brauchen sinnvolle
Lösungen, aber nicht solche untauglichen Eingriffe.»

Auch der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe wandte sich
energisch dagegen, «im Hauruck-Verfahren» ein Gesetz «durchzuwinken
»,
das Grundrechte wie die Selbstbestimmung und die Berufsfreiheit für
Zwangsrekrutierungen von Pflegefachpersonen opfere.

Kritik kam auch vom früheren Präsident des Verfassungsgerichtshofs
für Nordrhein-Westfalen, Michael Bertrams. Für «eine solche
Beschneidung von Grundrechten, zu denen auch die Freiheit der
Berufsausübung gehört, braucht es ein Höchstmaß an inhaltlicher
Bestimmtheit der Voraussetzungen, unter denen ein solcher
Grundrechtseingriff möglich sein soll», sagte er dem «Kölner
Stadt-Anzeiger» (Mittwoch). Daran mangele es dem Entwurf der
schwarz-gelben Koalitionsregierung.

Ursprünglich wollte Laschet sein Epidemie-Gesetz bereits an diesem
Mittwoch im Eilverfahren durch den Landtag bringen, scheiterte aber
am Widerstand der drei Oppositionsfraktionen.

Nach zähem Ringen haben sich dann allerdings alle Parteien
einvernehmlich darauf geeinigt, das Gesetz zunächst nur in den
Landtag einzubringen. Am 6. April sollen dann Sachverständige
angehört und am 9. April eine Sonder-Plenarsitzung in den Osterferien
einberufen werden.

Er wolle auf jeden Fall «einen parteiübergreifenden Konsens in der
Corona-Krise», bekräftigte der Regierungschef nach der Einigung.
Daher würden Anregungen von SPD und Grünen aufgenommen. Wenn es
Korrekturen brauche, dann werde es die auch geben. In dieser Frage
wolle die Landesregierung alle mit an Bord haben, weil es eine
gesamtgesellschaftliche Frage sei und keine parteipolitische.

Darüber hinaus befasst sich der Landtag am Mittwoch auf Antrag der
SPD-Fraktion in einer Aktuellen Stunde mit der «Gesundheits- und
Ernährungsversorgung in Pandemiezeiten». Dabei geht es unter anderem
um die Versorgung mit Medizinprodukten und Saisonarbeitskräften in
der Landwirtschaft.