Türkische Regierungspartei will wegen Coronavirus Gefangene entlassen

Istanbul (dpa) - Angesichts der Corona-Krise hat die türkische
Regierungspartei AKP ein Gesetz zur vorzeitigen Entlassung von bis zu
90 000 Gefangenen auf den Weg gebracht. Einen entsprechenden Entwurf
habe die Partei am Dienstag gemeinsam mit der ultranationalistischen
MHP im Parlament in Ankara eingereicht, sagte der stellvertretende
AKP-Fraktionsvorsitzende Cahit Özkan. Die AKP hat mit ihrem
Bündnispartner MHP eine Mehrheit in der Nationalversammlung.

Özkan sagte, die Haftzeit von Risikogruppen solle in Hausarrest
umgewandelt werden. Dazu gehörten Inhaftierte ab 65 Jahren, Frauen
mit kleinen Kindern und nachweislich schwer kranke Insassen. Außerdem
sollen Inhaftierte im offenen Vollzug ihre Strafe zu Hause absitzen.

Bis zu 90 000 Inhaftierte wären von dem neuen Gesetz betroffen, sagte
Özkan. Von der Regelung ausgenommen seien Gefangene, die wegen
Vergehen wie Gewalt gegen Frauen, vorsätzlichem Mord,
Sexualstraftaten, Drogendelikten und Terrorverbrechen einsäßen.

Wegen Terrorvorwürfen sitzen in der Türkei auch zahlreiche
Regierungskritiker und Journalisten im Gefängnis. Der Medien- und
Menschrechtsanwalt Veysel Ok, kritisierte die Regelung deshalb
scharf: «Dieser Gesetzesentwurf ist wie eine Todesstrafe für
politische Gefangene», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Sie
würden mit einer Epidemie alleine gelassen. Dabei seien die
Gefängnisse ohnehin schon überfüllt und die Hygiene sowie die
medizinische Versorgung dort unzureichend. Der Entwurf verstoße gegen
den Gleichheitsgrundsatz, gegen die Justiz und das menschliche
Gewissen. «Stellt euch vor, jemand, der einen Tweet teilt, muss im
Gefängnis bleiben, ein Dieb oder Betrüger wird entlassen», sagte er.


Ok, der auch der Anwalt des inhaftierten Deutschen Patrick K. ist,
hatte vergangene Woche unter anderem dessen vorzeitige Entlassung
wegen der Corona-Krise beantragt. Das Gesuch sei aber abgelehnt
worden, sagte Ok. Nun wolle er vor das Verfassungsgericht ziehen.

Patrick K. aus Gießen war Ende 2018 wegen Mitgliedschaft in einer
Terrororganisation zu einer Gefängnisstrafe von mehr als sechs Jahren
verurteilt worden. Ebenfalls zu mehr als sechs Jahren wegen
Terrorvorwürfen wurde die Kölner Sängerin mit dem Künstlernamen Hoz
an
Cane verurteilt. In Untersuchungshaft wegen Terrorvorwürfen sitzt
zudem der Deutsch-Türke Enver Altayli (75).