Pflegeheime befürchten weitere Corona-Fälle und fordern Unterstützung

Das Coronavirus kann für alte und kranke Menschen zur tödlichen
Gefahr werden. Pflegeheime stehen deshalb besonders im Fokus - gut
gerüstet für die Krise sehen sie sich nicht.

Hannover (dpa/lni) - Die Alten- und Pflegeheime stehen wegen der
Ausbreitung des Coronavirus vor großen Herausforderungen. Nach
Schätzungen der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege
in Niedersachsen wird derzeit täglich mindestens eine
Corona-Infektion aus jedem Pflegeheim gemeldet, wie Birgit Eckhardt
und Hans-Joachim Lenke vom Vorstand sagten. Eine solch dramatische
Lage wie in Wolfsburg gebe es in anderen Einrichtungen derzeit nicht.
Lenke zufolge sind dort Stand Dienstagmittag in einem Heim für
Menschen mit demenziellen Erkrankungen 18 Bewohner mit einer
Coronavirus-Infektion gestorben.

Konkrete Zahlen, wie viele Heime derzeit vom Coronavirus betroffen
sind, gibt es für Niedersachsen bislang nicht. «Wir haben die
Gesundheitsämter angewiesen, uns diese Zahlen mitzuteilen», sagte die
Sprecherin des Sozialministeriums, Stefanie Geisler, am Dienstag der
Deutschen Presse-Agentur. Bisher sei aus den Daten nicht ersichtlich,
ob eine Infektion in einer Pflegeeinrichtung oder zu Hause
aufgetreten ist.

Um die Verbreitung des Virus zu verhindern, hat die Landesregierung
Besuche in den Einrichtungen verboten. Seit Montag gilt zudem ein
Aufnahmestopp für Alten- und Pflegeheime. «Die Einschränkung von
sozialen Kontakten, Besuchsverbote und die konsequente und frühzeitig
Isolierung von Erkrankten ist das einzige Mittel, was uns derzeit im
Kampf gegen Corona zur Verfügung steht», sagte Gesundheitsministerin
Carola Reimann (SPD).

Die Diakonie in Niedersachsen äußerte Kritik am Aufnahmestopp, denn
dieser erhöhe den Druck auf die ambulanten Versorgungsstrukturen.
«Die Situation dort war aber schon vor der Corona-Krise durch den
Mangel an Pflegefachkräften labil», sagte Lenke, der auch
Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen ist. Für die
Pflegeheime sei der Aufnahmestopp zudem eine wirtschaftliche
Herausforderung. Den Druck auf die Politik verstehe er. «Die
erschreckenden Todesfälle in Altenpflegeeinrichtungen sind uns allen
eine große Belastung.»

Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste in Niedersachsen
verwies auf die derzeitige immense Belastung der Pflegenden. «Wir
müssen alles tun, um ihnen den Rücken frei zu halten und sie
bestmöglich zu schützen. Wir brauchen die verlässliche Aussage, dass

die notwendige Schutzausrüstung zur Verfügung gestellt wird», sagte
der kommissarische Leiter der Landesgeschäftsstelle, Carsten
Adenäuer.

Nach Angaben der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien
Wohlfahrtspflege in Niedersachsen verzeichnen einige Pflegeheime
derzeit mehr Tote als sonst. «Die Zunahme der Todesfälle ist schon so
auffällig, dass wir davon ausgehen, dass darunter auch infizierte
Verstorbene sind», sagte die Vorsitzende Birgit Eckhardt. Ihr zufolge
brauchen die Einrichtungen dringend mehr Schutzausrüstung und
umfangreiche Tests. «Wir sind in allergrößter Sorge», sagte sie und

forderte mehr Unterstützung durch die Politik.

Aus Sicht der Landesarbeitsgemeinschaft wird derzeit oft zu spät auf
das Coronavirus getestet. «Erst dann, wenn jemand Symptome hat, geht
die Kette mit den Testungen los», sagte Eckhardt. «Dann ist es in der
Regel zu spät, weil sich die Erkrankung unter den Mitarbeitern, die
über unzureichende Schutzkleidung verfügen, und unter den Bewohnern
ausbreitet.» Zur Landesarbeitsgemeinschaft gehören Bezirksverbände
der Arbeiterwohlfahrt, Verbände der Caritas, des Deutschen Roten
Kreuzes und Einrichtungen des Diakonischen Werkes. Mitglieder sind
zudem der Landesverband der Jüdischen Gemeinde von Niedersachsen und
der Paritätische Wohlfahrtsverband Niedersachsen.

Das neue Coronavirus, das die Lungenkrankheit Covid-19 auslösen kann,
verbreitet sich durch Tröpfcheninfektion. Während das Virus für junge

und gesunde Menschen in der Regel keine große Gefahr darstellt, hat
die Erkrankung bei älteren Patienten oft schwere Folgen.

Lenke vom Diakonischen Werk verwies auf die besondere Situation der
Mitarbeitenden in den Einrichtungen. Pflege ohne körperliche Nähe sei
nicht möglich, das Thema Schutzausrüstung müsse eine hohe Priorität

bekommen. «Die Einrichtungen haben das, was sie hatten, mittlerweile
weitgehend verbraucht.» Auf dem freien Markt sei fast nichts zu
bekommen. «Und wenn sie was kriegen, ist es sehr sehr teuer.»

In Niedersachsen gibt es nach Angaben des Paritätischen
Wohlfahrtsverbandes Niedersachsen rund 1980 Pflegeheime. Davon sind
etwa 1230 in privater Trägerschaft, 700 in freigemeinnütziger
Trägerschaft und 50 in der öffentlichen Hand. Dem Verband zufolge
bieten alle Träger zusammen etwa 114 000 Pflegeheimplätze an und
haben insgesamt rund 90 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, ambulante Pflegedienste
und Einrichtungen für betreutes Wohnen stehen nach Angaben der
Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege vor den
gleichen Problemen wie die Alten- und Pflegeheime. Alle brauchen
demnach dringend mehr Schutzausrüstung und Corona-Tests.