Corona-Krise löst auch in Hessen Ansturm auf Kurzarbeit aus Von Christian Ebner, dpa

In der Corona-Krise setzen tausende Betriebe in Hessen für ihre
Beschäftigten auf Kurzarbeit. Die zuständigen Arbeitsagenturen
berichten von einem regelrechten Ansturm auf die Sozialleistung.

Frankfurt/Main (dpa/lhe) - Die Corona-Krise hat in Hessen einen
beispiellosen Ansturm auf das Kurzarbeitergeld ausgelöst. Seit Beginn
der Ausgangsbeschränkungen sind bei den Arbeitsagenturen Anträge aus
rund 32 000 Betrieben eingegangen, wie die Regionaldirektion am
Dienstag in Frankfurt berichtete. Dahinter steckt mutmaßlich ein
Vielfaches von Beschäftigten, die mit der Sozialleistung über die
corona-bedingte Zwangspause kommen müssen. Die Gewerkschaften
verlangten erneut eine einheitliche Aufstockung des Kurzarbeitergelds
durch die jeweiligen Arbeitgeber.

Die Antragswelle übertrifft diejenige aus der Wirtschaftskrise
2008/2009 bei weitem. Damals waren in Hessen lediglich bis zu 1470
Anzeigen pro Monat eingegangen. Im Unterschied zu 2009 seien
Unternehmen fast aller Branchen und Größenklassen betroffen,
berichtete Direktionschef Frank Martin. Damals hatte es vornehmlich
die Industrie getroffen, dieses Mal sind auch viele Dienstleister,
Handel und Gastronomie dabei. «Das Ausmaß der Kurzarbeit wird daher
die bislang bekannten Dimensionen deutlich überschreiten. Wir müssen
und wir werden die Unternehmen in dieser Situation unterstützen»,
erklärte Martin.

In Hessen haben auch große Unternehmen wie die Lufthansa, Fraport,
Condor und Opel Kurzarbeit für jeweils tausende Mitarbeiter
angemeldet. Eine Gesamtzahl möglicher Betroffener wurde nicht
genannt, weil sie erst sehr viel später feststeht. Die Volkswirte der
Großbank UBS erwarten, dass in den nächsten Wochen jeder vierte
Beschäftigte in Deutschland in Kurzarbeit sein könnte. 2009 war es
nur jeder 25.

Letztlich sei nicht die Zahl der Anträge entscheidend für die
Langfristfolgen, sondern die Dauer der Krise, sagte der Frankfurter
Direktionschef Martin. Es sei bereits klar, dass die
Arbeitslosenzahlen in Hessen in den kommenden Monaten ansteigen
werden. «Zwar kann durch Kurzarbeit viel abgefedert werden, jedoch
laufen befristete Verträge aus und Neueinstellungen sind derzeit in
vielen Branchen unrealistisch», erläuterte Martin.

Die Finanzierung der bundesweiten Kurzarbeitswelle steht nach Angaben
der Bundesagentur für Arbeit aber trotz der enormen Nachfrage nicht
im Zweifel. Ein finanzielles Limit gebe es nicht, sagte der
Vorstandsvorsitzende Detlef Scheele. «Das Geld ist kein limitierender
Faktor, um den Rechtsanspruch auf Kurzarbeit zu finanzieren.» 100 000
Kurzarbeiter kosten nach seinen Angaben pro Monat bei einem Ausfall
von 50 Prozent rund 79 Millionen Euro. Seit Ausbruch der Corona-Krise
seien bundesweit 470 000 Anzeigen von Betrieben eingegangen. Hinter
der Zahl der Anzeigen dürfte sich ein Vielfaches an Menschen
verbergen, so dass der bisherige Rekord von 1,44 Millionen
Kurzarbeitern aus dem Mai 2009 bereits jetzt wackelt.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund verlangte erneut eine allgemein
tariflich vereinbarte Aufstockung des Kurzarbeitergeld, das nach dem
Gesetz 60 Prozent des Nettogehalts für Kinderlose und 67 Prozent für
Eltern beträgt. Die Arbeitgeber seien bereits durch die Freistellung
von den Sozialbeiträgen weitgehend entlastet worden, erklärte Hessens
DGB-Chef Michael Rudolph. Es sei daher ein Gebot der Gerechtigkeit,
dass sie das Kurzarbeitergeld ihrer Beschäftigten auf mindestens 80
Prozent vom Netto aufstockten.

Ähnlich äußerte sich der Frankfurter Bezirksleiter der IG Metall,
Jörg Köhlinger. «Wenn die Bundesanstalt für Arbeit den Unternehmen

die Sozialbeiträge für ausgefallene Arbeitsstunden komplett
erstattet, ist es nur recht und billig, dass zumindest der
Arbeitnehmerbeitrag an die Beschäftigten weitergegeben wird.(...) Wir
fordern von den Arbeitgebern, eine einheitliche Regelung nicht weiter
zu blockieren.»

Die hessischen Arbeitgeberverbände lehnen eine generelle Aufstockung
des Kurzarbeitergelds durch die Betriebe als «kontraproduktiv» ab.
Trotz der kompletten Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge
müssten die Arbeitgeber noch weitere Kostenanteile für die
Beschäftigten tragen, erklärte der Hauptgeschäftsführer der
Vereinigung hessischer Unternehmerverbände (VhU), Dirk Pollert. Es
wäre daher zielführender, den Beschäftigten verbesserte Möglichkeit
en
zu Hinzuverdiensten während der Kurzarbeitszeit zu eröffnen. Diesen
Vorschlag bezeichnete wiederum der DGB als «beispiellosen Akt der
Entsolidarisierung». 

Vor Ausbruch der Corona-Krise hatte sich Hessens Arbeitsmarkt noch in
einer vergleichsweise robusten Verfassung gezeigt. Zum Stichtag am
12. März vor den Einschränkungen waren 153 627 Männer und Frauen
arbeitslos gemeldet, wie die Arbeitsagentur ebenfalls berichtete. Das
waren fast 4000 Menschen weniger als im Februar und entsprach einer
um 0,1 Punkte gesunkenen Quote von 4,5 Prozent. Auch die Zahl der
sozialversicherungspflichtigen Jobs war weiter gestiegen, die der
offenen Stellen hingegen gesunken.

Die Betriebe können rückwirkend zum 1. März 2020 Kurzarbeitergeld
nutzen, wenn mindestens zehn Prozent der Beschäftigten einen
Arbeitsausfall von mehr als zehn Prozent haben. Zudem werden die
Sozialbeiträge zu 100 Prozent von der Agentur übernommen. Zunächst
müssen die Betriebe aber Kurzarbeitergeld und Sozialbeiträge
vorstrecken, die sie dann später auf Antrag erstattet bekommen.
Arbeitnehmer müssen sich bei Kurzarbeit nicht an die Arbeitsagenturen
wenden.