29 Corona-Tote in NRW-Pflegeheimen - Was tun für besseren Schutz? Von Florentine Dame, dpa

In NRWs Pflegeheimen fehlt es in der Corona-Krise besonders an
Schutzmaterial für das Personal. Doch auch hier gibt es immer wieder
Infizierte - mit dramatischen Folgen und bislang mindestens 29 Toten.
Wie kann man die gefährdete Klientel in den Heimen besser schützen?

Bochum/Düsseldorf (dpa/lnw) - Wer im Altenpflegeheim arbeitet, ist
den Umgang mit schwerer Krankheit und Tod durchaus gewohnt. Doch in
der Corona-Pandemie, wenn die Zahlen von Infizierten unter
hochbetagten Bewohnern nach oben gehen und damit die Furcht vor einer
Vielzahl von Corona-Toten in kurzer Zeit steigt, ist die Branche
alarmiert. In Nordrhein-Westfalens stationären Pflegeeinrichtungen
zählt das Gesundheitsministerium bislang mit Stand Montagabend 268
Bewohner mit einer Coronavirus-Infektion. Mindestens 29 Menschen
starben.

Braucht es jetzt Ausgehsperren für Heimbewohner um Schlimmeres zu
vermeiden? Aufnahmestopps, wie Niedersachsen sie verhängt hat. Dort
starben etwa in Wolfsburg 17 Menschen mit einer Corona-Infektion. Es
braucht vor allem Augenmaß bei den Entscheidungen, mahnen
Pflegeexperten. Und flächendeckend mehr Material und mehr Tests für
Bewohner und Personal.

Allein im Heinrich-König-Seniorenzentrum in Bochum hat eine
Infektionswelle fünf Menschen das Leben gekostet. Die Awo-Einrichtung
mit ihren 100 Bewohnern steht unter Quarantäne, zehn weitere
Bewohner, die positiv auf das Virus getestet wurden, sind in einem
gesonderten Bereich unterbracht, wie eine Sprecherin der Awo
Westliches Westfalen mitteilte. Alle Bewohner dürfen ihre Zimmer
nicht mehr verlassen: «Vor allem die Menschen, die nicht dement oder
bettlägerig sind, leiden unter der Situation», so die Sprecherin.
Auch in Emsdetten ist eine Einrichtung mit sechs Erkrankten Bewohnern
isoliert worden. Der Kreis Viersen berichtete am Dienstag von einem
zweiten Toten nach Corona-Infektion in einem Heim in Niederkrüchten,
in dem allein 27 Bewohner und neun Mitarbeiter infiziert seien.

«Es gibt nicht eine Lösung für alle», sagte Frank Wübbold, Leiter
der
Fachgruppe Alter und Pflege beim Paritätischen Wohlfahrtsverband NRW.
Aufnahmestopps seien beispielsweise dann problematisch, wenn nicht
sichergestellt sei, wie Pflegebedürftige stattdessen versorgt werden
können. Auch Ludger Risse, Vorsitzender des Pflegerates NRW, hält
wenig davon: Das Problem werde verlagert, sagte er. Dem insgesamt
unter Druck stehenden Pflegesystem sei nicht geholfen, wenn Patienten
aus den Krankenhäusern nicht entlassen werden könnten, weil ihre
pflegerische Versorgung im Anschluss nicht gewährleistet sei.

Gegen generelle Aufnahmestopps sprach sich auch das
Gesundheitsministerium auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur
aus: «Aus unserer Sicht sollten aber neu aufgenommene Personen
zunächst isoliert und nur von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
versorgt werden, die sich ausschließlich um diese Personen kümmern.»


Um das Risiko der Ansteckung in den Pflegeeinrichtungen mit ihrer so
hochgradig gefährdeten Klientel zu vermeiden, brauche es zum einen
Zeit und Fachwissen, um Hygienemaßnahmen präzise und wirksam
umzusetzen. «In der schon lange vor der Corona-Krise angespannten
Situation fehlt es sowieso an Personal und damit auch an Zeit», sagte
Risse. Auch sei nicht jeder Altenpfleger auf eine Behandlung von
Infektionskrankheiten vorbereitet.

Nicht weniger dramatisch sei der längst zugespitzte Mangel an
Schutzausrüstung und Desinfektionsmitteln: «Wenn es überhaupt noch

Material gibt, dann ist bei den meisten das Ende schon in Sicht»,
sagte Risse. Es gebe auch Einrichtungen, die ihre Mitarbeiter einem
ungeschützten Kontakt aussetzen oder improvisierten Schutz anbieten
müssten. Die Sorge, dass durch unterschrittene Hygienestandards
infiziertes aber symptomfreies Personal Heimbewohner anstecke, sei
bei vielen da. «Das macht mir tiefe Sorgenfalten», sagte Risse.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband setzt sich daher für mehr Tests in
stationären Einrichtungen ein - für Bewohner und das Personal. «Wenn

wir mehr Testkapazitäten zur Verfügung hätten, ließe sich das Risik
o
einer Ausbreitung senken. Es ist nicht einzusehen, dass das
Pflegepersonal, das ja auch zur kritischen Infrastruktur gehört,
nicht auch bei Corona-Tests priorisiert wird», sagte Wübbold.
Gleichzeitig halte er es für zwingend, neue Bewohner zu testen:
«Eigentlich dürfte niemand, der aus dem Krankenhaus kommt, ohne
Negativtest in eine stationäre Einrichtung wechseln», sagte Wübbold.


Sinnvoll sei es zudem, neue oder rückkehrende Bewohner zwei Wochen
lang in Quarantäne zu nehmen, um die anderen Bewohner vor einer
möglichen Infektion zu schützen. Das mache aber auch nur Sinn, wenn
die Isolation vernünftig durchführbar sei und genug Schutzmaterial
wie Masken und Kittel zur Verfügung stehe. Doch auch Wübbold weiß:
«Es reicht gerade hinten und vorne nicht».

Scharfe Kritik übte die Deutsche Stiftung Patientenschutz in Dortmund
an den Entscheidungsträgern: NRW schlittere mit seinen 164 000
Pflegebedürftigen in Heimen unvorbereitet in die Krise, sagte
Stiftungsvorstand Eugen Brysch. «Es fehlt schlichtweg am Grundschutz.
Heime, Pflegedienste, Kommunen und das Land haben hier nicht
ausreichend vorgesorgt.» Die Hilfsmittel müssten endlich zentral
beschafft und verteilt werden. Dazu brauche es in jeder Stadt eine
Taskforce, in der Ärzte und Pflegekräfte zusammenarbeiten und dort
eingreifen, wo es am meisten brenne. Auch bei den Tests müssten
Pflegebedürftige, Heimbewohner und ihre Helfer bevorzugt in den Blick
genommen werden, forderte Brysch.