Die Olympia-Uhr tickt: Aufraffen bis Tokio - neuer Termin optimal Von Andreas Schirmer, dpa

Der zweite Anlauf Richtung Olympische Spiele in Tokio wird auch für
die deutschen Athleten nicht leicht. Angesichts des nicht absehbaren
Endes sehen sie den neuen Termin mit der Eröffnungsfeier am 23. Juli
2021 aber als optimal an.

Frankfurt/Main (dpa) - Die neu gestellte Olympia-Uhr am Tokioter
Hauptbahnhof tickt. Bis zur Eröffnungsfeier am 23. Juli 2021 sind es
laut Anzeige am Mittwoch noch 478 Tage. «Je später, desto besser,
weil keiner absehen kann, wie es mit der Coronavirus-Pandemie
weitergeht», sagte Johannes Herber, Geschäftsführer des Vereins
Athleten Deutschland. Denn es ist nicht nur ein Neustart und Wettlauf
mit der Zeit für die Olympia-Macher, sondern ebenso für die Athleten.
Sie müssen neue Trainings- und Wettkampfpläne austüfteln und sich neu

motivieren nach dem noch offenen Ende der Pandemie-Zwangspause.

«Die qualifizierten Athleten werden sich leichter tun, sich
aufzuraffen. Es werden aber alle schaffen, dafür ist Olympia zu
groß», sagte Herber. Allerdings erwartet der Generaldirektor des
deutschen Leichtathletik-Verbands, dass viele von ihnen erst mal
durch ein Tief gehen werden. «Olympia ist für jeden Athleten das
Höchste in seiner sportlichen Laufbahn», sagte Idriss Gonschinska.
«Daher wirft eine solche bedeutsame Olympia-Absage die Athleten und
das Trainerteam trotz aller Nachvollziehbarkeit in der Corona-Krise
zunächst mental zurück. Es gilt sich also neu zu finden.» Er sei
jedoch überzeugt, dass die Athleten und ihre Teams dies in den
folgenden Wochen «aufarbeiten werden und motiviert sein werden, 2021
dabei zu sein».

Allerdings werden sich die Spitzensportler aus unterschiedlichen
Gründen schwerer oder auch leichter beim neuen Anlauf auf die Spiele
tun. «Als ich Olympia vor vier Jahren knapp verpasst habe, habe ich
gesagt, dass 2020 mein Moment sein soll», erklärte der 23-jährige
800-Meter-Läufer Marc Reuther aus Frankfurt in der «Bild»-Zeitung.
«Für mich als Sportler ist das brutal.»

Das empfinden aus Altersgründen auch eine ganze Reihe von Athleten
wie Ronald Rauhe. «Jetzt muss ich das erst mal sacken lassen», sagte
der 38 Jahre alte Kanu-Olympiasieger von 2004 aus Potsdam. Vier Jahre
habe er auf seine sechsten Spiele hingearbeitet. Nun müsse er mit
seiner Frau «Gespräche führen» wie es weitergeht.

Im wahrsten Sinne des Wortes durchringen muss sich auch
Medaillenkandidat Frank Stäbler, der nach Olympia in diesem August
die Karriere beenden wollte. Der 30-Jährige macht aber definitiv
weiter. «Nochmal ein Jahr, nochmal eine Chance, um noch besser zu
werden», schrieb der Vorzeige-Ringer bei Facebook. Aus anderem Grund
ist für Marathonläuferin Katharina Steinruck die Verlegung «hart»:

Mit fast 31 Jahren wollte sie eine Babypause einlegen.

Für Turn-Ass Marcel Nguyen ist dagegen der Olympia-Aufschub ein
Vorteil. «Ich habe wertvolle Zeit geschenkt bekommen», sagte
zweifmalige Olympia-Zweite von 2012. Zeit, um nach schwerer
Schulterverletzung wieder richtig fit zu werden. Auch für
Kletter-Bundestrainer Urs Stöcker ist die Verschiebung für die neue
Olympia-Sportart «vielleicht gar nicht so schlecht». Jetzt könne man

sich noch besser vorbereiten: «Wir haben ein Jahr dazugewonnen.»

Die Mehrheit der qualifizierten oder potenziellen Olympia-Starter -
der Deutschen Olympische Sportbund rechnet mit einem rund 400
Athleten großen Team - sieht den neuen Tokio-Termin aber den
Umständen entsprechend als ideal an. «Um für alle Sportler einen
fairen Wettbewerb zu garantieren, ist das Datum nahezu optimal»,
befand Hannes Ocik, Schlagmann des Deutschland-Achters. «Das gibt uns
jetzt die Möglichkeit noch einmal durchzuatmen und strukturell noch
aufzubauen.»

Es sei aber schon etwas Besonderes, das Thema mental anzugehen. «Ich
glaube, dass das noch mal eine Rolle spielen wird, wenn die
Trainingsqualen aufs Neue beginnen und man wieder lange auf Familie
oder seine Freundin verzichten muss», sagte Ocik.

Auch Wasserspringer Patrick Hausding kann sich mit dem neuen Termin
anfreunden, weil er «von der Trainingsmethodik her» die beste Zeit
für den wertigsten Wettkampf sei. Auch andere Verbände hätten so
genug Spielraum, ihren Kalender entsprechend anzupassen.

Nach einem Jahr wieder auf das gleiche Niveau zu kommen, ist laut
Experten aber nicht leicht. «Gerade Athleten in technischen
Sportarten, in denen täglich an Details gefeilt werden muss, haben
aktuell riesige Probleme, weil die Sportstätten geschlossen sind»,
sagte Professor Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln
im ARD-«Morgenmagazin». Kleine Bewegungen im Gehirn würden
verblassen, wenn sie nicht tagtäglich geübt würden.

Große Unterschiede sehe er zudem zwischen den Ausdauer- und den
Schnelligkeitssportarten. «Die Ausdauer, die reduziert sich deutlich
weniger», erklärte Froböse. In den
Schnellkraft/Schnelligkeitssportarten komme es auf Winzigkeiten an,
«und wenn Sportler dann ein Jahr älter sind, haben wir schon ein
Problem», prognostizierte er.