«Derzeit einer der sichersten Orte»: Die Corona-Krise und das Weltall Von Christina Horsten, Ulf Mauder und Oliver Pietschmann, dpa

Auf der Erde hat die Corona-Krise das Leben vielerorts komplett
verändert - und im Weltraum? Die Internationale Raumstation ist
derzeit einer der wohl am sichersten Corona-freien Orte. Aber viele
Raumfahrt-Pläne sind von der Krise auf der Erde betroffen.

Washington/Moskau/Darmstadt (dpa) - Ein Russe und zwei Amerikaner
fliegen derzeit mit der Internationalen Raumstation (ISS) in rund 400
Kilometern Höhe um die Erde - weit von der Corona-Krise entfernt.
«Hinsichtlich des Coronavirus ist die ISS derzeit wahrscheinlich
einer der sichersten Orte», wird Luis Zea von der University of
Colorado in Boulder vom Magazin «Newsweek» zitiert. Wie sieht es bei
anderen Raumfahrtprojekten aus? Ein Überblick.

Raumstation ISS

«Die Tätigkeiten hier werden weitergehen, egal was auf der Erde
passiert», sagt US-Astronaut Andrew Morgan. Er arbeitet gemeinsam mit
seinen Kollegen Jessica Meir und Oleg Skripotschka auf dem
Außenposten der Menschheit. Bald kommt Unterstützung von der Erde -
und es muss zwingend vermieden werden, dass diese drei Raumfahrer das
Virus in die Station tragen.

Vor ihrem am 9. April geplanten Flug zur ISS sind die beiden Russen
und der Amerikaner im Kosmonauten-Ausbildungszentrum im
Sternenstädtchen nahe Moskau darum weitgehend isoliert. Die meisten
der üblichen Rituale wurden abgesagt: keine Blumen an den
Kremlmauern, kein Besuch im Wohnhaus des sowjetischen
Raketenkonstrukteurs Sergej Koroljow. Eine Ausnahme gab es: Die
Raumfahrer besuchten das Denkmal für Juri Gagarin, den ersten
Menschen im Weltall, sowie sein Arbeitszimmer in einem Museum.

«Obwohl Weltraumflüge immer mit einem besonderen Risiko verbunden
sind, verstehen wir ganz gut, dass die ISS in den kommenden Monaten
der sicherste Ort sein wird», sagt Kosmonaut Anatoli Iwanischin. «Wir
sind gesund, die Mannschaft wird sehr sorgfältig von medizinischem
Personal untersucht», meint auch Astronaut Christopher Cassidy. Die
beiden Raumfahrer starten Anfang April zusammen mit dem Russen Iwan
Wagner ins All. Dort soll die Crew 196 Tage bleiben.

Wie es auf der Erde in dieser Zeit weitergeht, lässt sich kaum
erahnen. Klar ist aber schon jetzt, dass es Auswirkungen auf
zahlreiche Raumfahrtvorhaben gibt.

STARTS

Wegen der Pandemie gibt es aktuell keine Starts vom Weltraumbahnhof
in Kourou im südamerikanischen Französisch-Guayana mehr. Auch die
russische Raumfahrtbehörde Roskosmos zog von dort den Großteil seiner
Mitarbeiter ab. Der russische Weltraumbahnhof Baikonur in der
Ex-Sowjetrepublik Kasachstan arbeitet hingegen weiter nach Plan.
Roskosmos-Chef Dmitri Rogosin betonte, dass die Starts auch künftig
weitergehen sollen. Nur Journalisten sind bei den sonst sorgfältig
inszenierten Starts nicht mehr zugelassen. Roskosmos ist seit Jahren
die einzige Raumfahrtagentur, die bemannte Flüge zur ISS anbieten
kann.

MISSIONEN

«Die Technik erlaubt uns, dass wir vieles von dem, was wir machen
müssen, aus der Ferne tun können», sagt der Chef US-Raumfahrtbehörd
e
Nasa, Jim Bridenstine. Die ISS und alle aktuellen Missionen im
Weltraum könnten weiter koordiniert werden. Bei Missionen, die noch
in der Planungs- und Bauphase sind, sieht es anders aus. Wo Arbeit
vor Ort nicht sicher möglich sei, «da müssen wir sie vorübergehend

einstellen», sagt Bridenstine.

Das betrifft zum Beispiel das Space Launch System und Orion, die
Rakete und die Raumkapsel, mit der die Nasa innerhalb der kommenden
fünf Jahre Astronauten zum Mond bringen wollte. Auch der Zeitplan für
das James-Webb-Teleskop, das eigentlich 2021 starten sollte, dürfte
sich weiter verzögern, ebenso der für Sommer geplante Start des
Mars-Rovers «Perseverance». Und ob die Nasa gemeinsam mit der
privaten Raumfahrtfirma SpaceX wirklich wie angekündigt im Mai zwei
Astronauten zur ISS bringen kann, bleibt abzuwarten.

In mindestens zwei Nasa-Forschungszentren in den USA hat es bereits
Coronavirus-Nachweise bei Mitarbeitern gegeben. Mit wenigen Ausnahmen
sind alle Angestellten aufgerufen, von zuhause aus zu arbeiten.

ESA-PLÄNE

Auch die Pläne der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) können
nicht immer so weiterlaufen wie geplant. Das Europäische
Raumflugkontrollzentrum (ESOC) in Darmstadt ist nur noch mit einer
Rumpfmannschaft besetzt. Durchschnittlich 30 der insgesamt 900
Mitarbeiter arbeiten derzeit im Kontrollzentrum. «Das ist das
Minimum», sagt der stellvertretende ESOC-Leiter Paolo Ferri. Bei vier
Satelliten seien Instrumente abgeschaltet worden. Auch Tests im Zuge
der Sonnenmission «Solar Orbiter», die erst kürzlich gestartet war,
seien eingestellt worden.

Grund für die Vorsicht ist auch der nahende Erdvorbeiflug der
Merkur-Sonde BepiColombo. «Die dürfen wir nicht in Gefahr bringen.»
Das sei eine heikle Phase, in der präzise gesteuert werden müsse - da
dürfe man nicht riskieren, dass weitere Mitarbeiter der
Rumpfbesetzung in Quarantäne müssten. «Wir können die Satelliten
nicht von zu Hause aus steuern.» Technisch wäre das im Prinzip zwar
möglich, aber das Risiko wäre einfach zu groß.