Wenn die Kamera am Flughafen auch Fieber misst Von Anne-Béatrice Clasmann, dpa

Warum sollen Kameras, die Gesichter erkennen und mit Foto-Datenbanken
vergleichen, auch Fieber messen können? Eine Hamburger Firma, die
biometrische Thermalkameras anbietet, kann sich wegen der
Corona-Pandemie plötzlich vor Anfragen nicht mehr retten.

Berlin (dpa) - «Grenzsicherung: eine europäische Aufgabe» heißt das

Fachforum, bei dem Günther Mull am 4. Februar auf dem Europäischen
Polizeikongress in Berlin über die Neuentwicklungen seiner in Hamburg
ansässigen Firma Dermalog berichtet. Die Weltgesundheitsorganisation
(WHO) hat das Sars-CoV-2-Atemwegssyndrom fünf Tage zuvor als
«gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite» eingestuft.
Trotzdem horcht niemand auf, als Mull erklärt, seine biometrischen
Kameras könnten jetzt auch auf zwei Meter Distanz Fieber messen.

Die in China aufgetauchte Lungenkrankheit Covid-19 erscheint den
Polizisten, Experten, Journalisten und Politikern, die hier am
Alexanderplatz versammelt sind, noch sehr weit weg. Was die
Kongressteilnehmer beschäftigt, sind vielmehr die wachsende Gefahr,
die von gewaltbereiten Rechtsextremisten ausgeht und die
Gesichtserkennung, die Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU)
gerade auf Drängen der SPD aus einem Entwurf für das neue
Bundespolizeigesetz gestrichen hat. Knapp acht Wochen später sieht
die Welt ganz anders aus.

Die Hamburger Firma, die Fingerabdruck-Scanner für die Registrierung
von Flüchtlingen und Gesichtserkennungsgeräte für Banken in Nigeria
produziert, erhält seit Beginn der Corona-Pandemie viele Anrufe von
Behörden, Veranstaltern und Unternehmen, die sich plötzlich für die
Thermalkameras interessieren. Vor allem die Veranstalter sind aber
mit konkreten Aufträgen noch zögerlich - schließlich weiß zumindest

in Deutschland derzeit noch niemand, wann Messen und andere Treffen
überhaupt wieder stattfinden können.

Das erste Pilotprojekt mit Dermalog-Kameras, die auf der Stirn die
Körpertemperatur messen, geht Anfang Februar an den Start. Auf dem
Flughafen Don Mueang in Bangkok. Auf dem Flughafen, über den der
innerasiatische Luftverkehr abgewickelt wird, wurden zwei Kameras mit
Temperaturmessfunktion installiert. Nach Angaben eines
Firmensprechers verfügen die dort eingesetzten Geräte, um eine höhere

Messgenauigkeit zu erzielen, über Module zur genaueren Bestimmung der
Gesichtsposition.

Ende Februar - die WHO hat die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus
mittlerweile zur Pandemie erklärt, stellt das Unternehmen erstmals an
einem öffentlichen Ort in Deutschland seine Kamera auf, an den
Eingängen zur Tire Technology Expo in Hannover. Laut
Unternehmensangaben wurde bei keinem der etwa 5000 Besucher der Messe
akutes Fieber festgestellt. Sicherheit kann die automatische
Temperaturmessung ohnehin nicht liefern. Denn nicht jeder
Corona-Infizierte entwickelt Fieber. Außerdem können die Infizierten
schon Tage vor dem Auftauchen der Symptome andere Menschen anstecken.

An Sars-CoV-2 oder andere Virus-Erkrankungen haben die Entwickler von
Dermalog aber nicht in erster Linie gedacht. Vielmehr wollten sie
durch die Temperaturmessung als Extra-Feature sicherstellen, dass
Menschen mit Gesichtsmasken die biometrische Kamera nicht überlisten.
Denn anders als etwa die US-Firma Flir Systems ist Dermalog nicht auf
Wärmebildkameras spezialisiert, sondern auf Fingerabdruck-Scanner und
andere Biometrie-Anwendungen. Auch Telpo kombiniert die
Gesichtserkennung mit der Temperaturmessung. Allerdings gibt der
chinesische Hersteller eine geringere Distanz zwischen Gerät und
Mensch vor als sein Hamburger Konkurrent.

In einigen Regionen Südostasiens und Lateinamerikas, wo das
Dengue-Fieber verbreitet ist, kommen Thermalkameras an Flughäfen
schon länger zum Einsatz, um kranke Reisende zu erkennen und
anschließend zu untersuchen. Einen Vorteil hat das Kamera-Verfahren
auf jeden Fall gegenüber dem Fiebermessen mit herkömmlichen Methoden:
es senkt das Infektionsrisiko für die Grenzbeamten.