NRW plant Epidemie-Gesetz - Opposition äußert Verfassungsbedenken

Die Landesregierung hat den Entwurf eines Epidemie-Gesetzes
vorgelegt, das den Behörden weitreichende Zugriffsmöglichkeiten unter
anderem auf Ärzte und Material ermöglichen würde. Die Opposition ist

erzürnt. Am Mittwoch kommt der Entwurf in den Landtag.

Düsseldorf (dpa/lnw) - Zum Schutz gegen weitere
Corona-Infektionswellen hat die nordrhein-westfälische Regierung am
Montag einen außergewöhnlichen Gesetzentwurf vorgelegt. Er sieht
unter anderem Zwangsverpflichtungen von Ärzten im Notfall vor.
Außerdem sollen die Behörden berechtigt werden, medizinisches
Material sicherzustellen. SPD und Grüne halten den aktuellen
Gesetzentwurf in Teilen für verfassungswidrig und wollen einer
Blitz-Behandlung am Mittwoch im Landtag nicht zustimmen.

Das Kabinett hatte den Entwurf des Gesetzes am Samstag beschlossen.
Am Montagnachmittag wurden die 84 Seiten auf der Internet-Seite des
Landtags veröffentlicht. Am Mittwoch soll das Plenum von
Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) unterrichtet werden.

Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) verteidigte die
weitreichende Kompetenzen für Land und Behörden in dem Entwurf. «In
diesen Wochen, in denen wir vor allem auf dem Markt mit
Schutzausrüstung zum Teil Wild-West-Methoden erleben, haben wir eines
gelernt: Der Staat muss gegenüber den wenigen Unverantwortlichen auch
durchgreifen können», sagte er dem «Kölner Stadt-Anzeiger»
(Dienstag). Maßnahmen wie die Beschlagnahmung von Material und
Geräten seien nur für den absoluten Ausnahmefall gedacht. Der
Ausnahmecharakter gelte erst recht für die Möglichkeit, auch
medizinisches und pflegerisches Personal als Ultima Ratio zum Dienst
verpflichten können: «Ich hoffe und glaube, dass wir das nie brauchen
werden, weil das Engagement gerade bei den Pflegekräften und
Medizinern schon heute sehr, sehr groß ist. Aber im absoluten Notfall
muss der Staat handlungsfähig sein», unterstrich Laumann.

Die Staatskanzlei hatte sich bei den Fraktionen bereits im Voraus für
die «signalisierte Bereitschaft» bedankt, den Entwurf «in einem
beschleunigten Verfahren im nächsten Plenum zu beraten und
beschließen». Dazu wird es aus Sicht von SPD und Grünen nun nicht
kommen, denn das geplante Vorhaben hat es in sich.

GRUNDLAGE: Das Gesetz soll bei einer «Epidemischen Lage von
landesweiter Tragweite» greifen. Die müsste der Landtag ausrufen -
und wieder aufheben. Es geht in dem Entwurf nicht nur um die aktuelle
Corona-Krise sondern auch weitere Epidemien - daher wäre es in weiten
Teilen zeitlich unbegrenzt gültig.

BEGRÜNDUNG: Die Landesregierung argumentiert, dass die Corona-Krise
auch im Ausland zeige, «dass im seuchenrechtlichen Notfall das
Funktionieren des Gemeinwesens und die Versorgungsfunktion des
Gesundheitssystems erheblich gefährdet sein können.» Um dem
vorzubeugen, «muss die Landesregierung in die Lage versetzt werden,
schnell mit schützenden und steuernden Maßnahmen einzugreifen.»

KRANKENHÄUSER: Im Falle einer Epidemie wäre das
Gesundheitsministerium laut dem Entwurf zum Beispiel befugt,
Krankenhäuser zur Schaffung von Behandlungskapazitäten zu zwingen -
auch zu bestimmten Untersuchungen. Operationen müssten auf Geheiß der
Behörden verschoben werden.

MEDIZINISCHES MATERIAL: Das Gesetz würde die Behörden berechtigen,
«medizinisches, pflegerisches und sanitäres Material einschließlich
der dazu gehörigen Rohstoffe sowie Geräte» bei Firmen sicherzustellen

- und dann zu einem normalen Preis abzukaufen. Zudem könnte man
Firmen verbieten, die Sachen an andere weiter zu geben.

PERSONAL: Die Behörden könnten Ärzte, Pfleger und Rettungskräfte
verpflichten, mit gegen die Epidemie zu kämpfen. Voraussetzung laut
Gesetzentwurf: Die Landesregierung stellt formell einen «erheblichen
Mangel» an Personal fest.

KOMMUNEN: Den Kreisen und Gemeinden soll das neue Gesetz Beschlüsse
im vereinfachten Verfahren ermöglichen. So könnte ein Stadtrat zum
Beispiel schriftlich abstimmen statt zusammen zu treten.

SCHULEN UND UNIS: Das Schulministerium soll berechtigt werden, dieses
Jahr das Abschlussverfahren an Haupt-, Real-, Sekundar- und
Gesamtschulen auszusetzen. Sitzenbleiben könnte für dieses Schuljahr
abgeschafft werden. Auch die Prüfungsregeln an Unis würden einmalig
gelockert - ein Notausgang, falls der Schulbetrieb nach dem 20. April
immer noch brach liegen sollte.

VERWALTUNG: Da im Fall einer Epidemie viele Menschen im Homeoffice
arbeiten und schwer an Originaldokumente kommen - beziehungsweise sie
nicht persönlich beim Amt vorlegen können - sollen elektronisch
versandte Sachen reichen.

Die Landesregierung hat den Gesetzentwurf nach eigenen Angaben im
Rekordtempo aufgestellt und ihn am Wochenende neben den Fraktionen
auch den zuständigen Verbänden zugesandt. Dass das Gesetz am Mittwoch
- wie zuvor der 25 Milliarden-Euro-Rettungsschirm - an einem Tag vom
Landtag beschlossen wird, scheint allerdings illusorisch.

SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty sagte, das geplante Gesetz greife
«massiv in Grundrechte» ein und müsse auf jeden Fall in die
Fachausschüsse. Kutschaty bezog sich unter anderem auf den Passus, in
dem Ärzte zum Kampf gegen die Epidemie verpflichtet werden sollen.
Auch für die Fraktionschefin der Grünen, Monika Düker, sind Teile des

Gesetzentwurfs «verfassungsrechtlich in hohem Maße bedenklich.»

Widerstand formierte sich parallel im Rest der Opposition. Der
fraktionslose Abgeordnete Marcus Pretzell twitterte am Montag: «Was
die NRW-Landesregierung uns am Mittwoch als Gesetzesvorhaben zur
Bekämpfung der Corona-Krise vorlegen möchte, ist gravierend
verfassungswidrig und dazu in vielen Maßnahmen kontraproduktiv.» Der
Chef der AfD-Fraktion im Landtag, Markus Wagner, verglich den Entwurf
mit «einer Art «Ermächtigungsgesetz»».

Sowohl SPD als auch Grüne zeigten sich aber kompromissbereit: Er
stehe jederzeit für ein Gespräch mit dem Ministerpräsidenten bereit,

sagte Kutschaty. Die Grünen betonten, dass sie auch für
Sondersitzungen in den Osterferien parat stünden. Für Kutschaty ist
auch nicht alles schlecht in dem Entwurf: Medizinisches Material zu
beschlagnahmen, sei zum Beispiel in Ordnung.

Die Regierungsfraktionen gaben ein Gesprächsangebot bekannt. «CDU und
FDP streben aufgrund der besonderen Herausforderungen der
Corona-Krise eine breite parlamentarische Mehrheit an und laden die
Opposition zu zeitnahen Gesprächen über eine gemeinsame Lösung -
inhaltlich und im Verfahren - ein», erklärten die Fraktionschefs Bodo
Löttgen (CDU) und Christof Rasche (FDP) am Montagabend.