In Deutschland grassiert das Coronavirus in weiteren Heimen

Das Coronavirus grassiert derzeit in verschieden Alten- und
Pflegeheimen Deutschlands, wo es auf besonders gefährdete Menschen
trifft. Patientenschützer fordern strenge Maßnahmen in Heimen.

Wolfsburg/Berlin (dpa) - Das Coronavirus verbreitet sich zunehmend
auch in Altenheimen in Deutschland. Nach dem Tod von 17 infizierten
Menschen in einem Alten- und Pflegeheim in Wolfsburg kämpft ein
weiteres niedersächsisches Heim mit Infektionen. Tests hätten
bestätigt, dass 23 Bewohner sowie 17 Mitarbeiter eines Altenheims in
Wildeshausen im Landkreis Oldenburg mit dem Erreger Sars-CoV-2
infiziert seien, teilte der Landkreis am Montag mit. Im Würzburger
Seniorenheim St. Nikolaus waren bis zum Wochenende 13 Bewohner nach
einer Infektion mit dem Virus gestorben. In Baden-Württemberg hatten
sich bis Montagmittag in mindestens sieben Altenheimen 74 Bewohner
mit dem Coronavirus angesteckt.

Angesichts der Coronavirus-Fälle in den Heimen fordern
Patientenschützer dort engmaschige Tests. Bei der Aufnahme eines
Bewohners in einem Heim müsse dieser grundsätzlich getestet und
isoliert werden, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung
Patientenschutz, Eugen Brysch, der Deutschen Presse-Agentur dpa am
Montag. Auch bei grippalen Infekten von Pflegepersonal oder Bewohnern
müsse getestet werden. Bundesweit lebten rund 800 000 Menschen in
Alten- und Pflegeheimen, mehr als 70 Prozent davon seien demenzkrank.

Sei das Coronavirus erst in einer Pflegeeinrichtung, müsse die
jeweilige Kommune diese sofort überwachen, forderte Brysch. Dann habe
man nicht länger «100 Hausärzte, die sich um 100 Bewohner kümmern
»,
sondern das Gesundheitsamt übernehme. Ohne Schutzkleidung, Atemmaske,
Desinfektionsmittel und Handschuhe «braucht man im Pflegeheim nicht
anzufangen». Bislang seien bundesweit mindestens 50 Menschen in
Alten- und Pflegeheimen gestorben. Die Gefahr neuer Fälle sei groß.

Eine Strafanzeige gegen Verantwortliche der Diakonie Wolfsburg wegen
fahrlässiger Tötung halte er nicht für sinnvoll, sagte Brysch. «Wer

diese Krise zu verantworten hat, der sitzt in Berlin.» Die
Staatsanwaltschaft Braunschweig hatte zuvor am Montag den Eingang
einer Anzeige eines Wolfsburger Anwalts bestätigt.

Das Land Niedersachsen ordnete inzwischen einen Aufnahmestopp für
Pflegeheime an. Ausnahmen gebe es nur, wenn eine 14-tägige Quarantäne
für neue Bewohner gewährleistet sei, sagte Gesundheitsministerin
Carola Reimann. Die SPD-Politikerin appellierte zudem an Angehörige,
auf Besuche älterer Angehöriger zu verzichten. «Bitte besuchen Sie
Ihre Lieben nicht. Damit schützen Sie nicht nur Ihre eigene Mutter
oder Ihren eigenen Vater, sondern alle.» Es gebe viele Hinweise, dass
die Besuchsverbote für solche Heime nicht beachtet worden seien.

Bei den meisten der 17 im Wolfsburger Heim gestorbenen Menschen sind
vor dem Tod keine Covid-19-Symptome aufgetreten. «Am Sonntag hatten
wir insgesamt 79 positive getestete Personen in dem Heim», sagte
Wolfsburgs Oberbürgermeister Klaus Dieter Mohrs (SPD). In dem Haus,
in dem überwiegend Demenzkranke leben, sollten Infizierte strikt von
negativ getesteten Bewohnern getrennt werden.

Im Heim von Wildeshausen habe das Gesundheitsamt alle 51 Bewohner und
44 Mitarbeiter getestet, nachdem ein 89-Jähriger mit schweren
Vorerkrankungen und einer Coronavirus-Infektion gestorben sei, teilte
der Kreis Oldenburg mit. Am Montag starb ein weiterer positiv
getesteter ebenfalls 89-jähriger Bewohner. Bei allen anderen
Erkrankten seien bislang milde Verläufe festgestellt worden. Die
infizierten Bewohner bleiben den Angaben zufolge für zwei Wochen in
ihren Zimmern und werden von ebenfalls positiv getesteten
Mitarbeitern versorgt - strikt getrennt von negativ getesteten
Bewohnern, die in Einzelzimmern untergebracht seien und von negativ
getesteten Mitarbeitern versorgt würden.

Landespolitiker blicken inzwischen auf die Kurve der gesamten
Infektionszahlen: Ob sich das Verbreitungstempo bei den Ansteckungen
mit dem Coronavirus in Berlin bereits verringert, lässt sich nach
Einschätzung von Innensenator Andreas Geisel (SPD) derzeit nicht
seriös feststellen. Ähnlich sieht es Niedersachsens
Gesundheitsministerin Carola Reimann. Dass die Zahl der bestätigten
Neuinfektionen in Niedersachsen in den vergangenen Tagen leicht
zurückging, führte die SPD-Politikerin auf das Wochenende zurück, an

dem weniger getestet und gemeldet worden sei.

Die Landesregierung von Schleswig-Holstein will auf die Zahlen in den
kommenden Wochen schauen. «Auf dieser Grundlage werden wir zu
beurteilen haben, in welcher Weise diese Maßnahmen über den 19. April
hinaus fortgeführt werden müssen», sagte uns MP Daniel Günther am
Wochenende. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) betonte
dagegen, dass die Ausgangsbeschränkungen erste Wirkungen zeigten,
«die Kurve flacht ab». Derzeit verdopple sich die Zahl der
Infizierten in Bayern alle 5 Tage, vor den Maßnahmen habe sich die
Zahl alle 2,8 Tage verdoppelt.

«Die eigentliche, endgültige Beurteilung über die Wirksamkeit und die

Fortsetzung der entsprechenden Maßnahmen können wir am Ende
wahrscheinlich erst Mitte April treffen», betonte Söder jedoch. «Wir

haben uns vereinbart unter den Bundesländern, dass wir dies zusammen
tun.» Das gemeinsame Vorgehen sei wichtig, da die Folgen nationale
Auswirkungen haben würden. Es gebe keinen Anlass zu Entwarnung, es
sei deshalb nicht die Zeit für einen vorschnellen Exit oder eine
entsprechende Debatte. «Eine Exit-Debatte, so verständlich sie sein
mag, ist jetzt zur Unzeit.»

In Deutschland sind bis Montagabend 62 526 Infektionen mit dem
Coronavirus registriert worden, wie aus einer dpa-Auswertung
hervorgeht, die gemeldete Zahlen der Bundesländer berücksichtigt.
Gerechnet auf 100 000 Einwohner verzeichnet Hamburg mit einem Wert
von 120,3 die meisten Infektionen. Es folgen mit etwa gleichen Zahlen
Baden-Württemberg (110,7) und Bayern (110,4). Im Bundesschnitt waren
es 75,2. Mindestens 560 Infizierte sind den Angaben zufolge bislang
bundesweit gestorben. Auch in Deutschland rechnen Experten mit einer
hohen Dunkelziffer nicht erfasster Fälle.