«Leben im Ungewissen»: Corona-Krise und Finanzsorgen der Athleten Von Andreas Schirmer, dpa

Keine Wettkämpfe, kaum Geld. Viele deutsche Spitzenathleten haben in
der Coronavirus-Krise finanzielle Sorgen. Prämien und Startgelder
fallen weg, Sponsoren drohen wegzubrechen und auch Nebenjobs von
Sportlerin sind wegen der Lage auf dem Arbeitsmarkt unsicher.

Frankfurt/Main (dpa) - Mittelstreckenläuferin Alina Reh macht sich in
der Coronavirus-Krise nicht nur Sorgen um die Gesundheit. «Es hat
eine emotionale, aber auch eine finanzielle Seite», sagte die
22-jährige deutsche Meisterin über 10 000 Meter. «Wir müssen
versuchen, uns über Wasser halten.» Wie der Leichtathletin aus Ulm
geht es vielen deutschen Spitzensportlern: Keine Wettkämpfe, weniger
Geld. «Es ist natürlich monetär schlecht», sagt die Frankfurterin
Gesa Krause. «Wie das aufzufangen ist, muss man sehen», befand die
WM-Zweite über 3000 Meter Hindernis.

Prämien und Startgelder fallen monatelang weg. Hinzu kommt die
Befürchtung, dass Sponsoren durch die Krise in die Knie gehen und
abspringen - und in der Vorbereitung auf die in das nächste Jahr
verlegten Olympischen Spielen in Tokio gar kein Geld oder nur im
reduzierten Umfang zahlen können. Außerdem gibt es bei zahlreichen
Athleten die Sorge um den Verlust von Teilzeitjobs, ohne die Sport
und Lebenserhalt nicht finanzierbar wären.

«Es wird auch für die Spitzensportler nicht einfacher werden», sagte

der Kölner Sportökonom Christoph Breuer im Interview der Deutschen
Presse-Agentur. «Ein Effekt könnte sein, dass die Athleten
durchschnittlich weniger verdienen und ihren Sport ein Stück weiter
unter den Mindestlohn-Bedingungen ausüben müssten.»

In der von Breuer mitverfassten Studie «Die Lebenssituation von
Spitzensportlern in Deutschland» (Stand Oktober 2018) wurde offenbar,
dass Topathleten im Schnitt eine 56-Stunden-Woche hatten und der
Aufwand für Sport, Beruf und Ausbildung einem Stundenlohn von 7,41
Euro entsprach. Dies lag zum Untersuchungszeitpunkt unter dem
Mindestlohn in Deutschland von 8,84 Euro (aktuell 9,35 Euro). «Die
olympischen und paralympischen Leistungssportler haben, wenn man so
will, ohnehin nichts zu verlieren und können deshalb gar nicht so
viel verlieren», meinte Breuer nicht ohne Ironie.

Könnte dies bei vielen der rund 4000 Athleten der Leistungskader auch
zur Überlegung führen, mit dem Sport aufzuhören? «Das lässt
zusätzlich bei einigen die Frage aufkommen, ob sich das Ganze
überhaupt lohnt», sagte Breuer. Umgekehrt könne es auch einen anderen

Effekt haben und manche sagen: «Ich habe jetzt mehr Zeit, weil bei
dem Arbeitgeber, bei dem ich angestellt bin und eine halbe Stelle
habe, zukünftig Kurzarbeit herrscht.» Dies sei spekulativ, «doch das

es nur in eine Richtung geht, glaube ich nicht».

Für Speerwurf-Olympiasieger Thomas Röhler ist das eine große
Folgekette. «Wir leben im Ungewissen. Wir als deutsche Athleten
werden so schnell nicht in ein anderes Land reisen», erklärte der
Werfer aus Jena. Dadurch würden alle große finanzielle Einbußen
haben. «Wir haben keine Anstellungsverträge und sind Freiberufler
beziehungsweise Einzelunternehmer», sagte Röhler dem Onlineportal
«Sportbuzzer». Die Fußballer zum Beispiel seien Angestellte.

Topstars wie Röhler sind finanziell «für die Krisensituation
gewappnet», wenn es kein Dauerzustand werde. Essenziell sei aber auch
für ihn, die Unterstützung der Stiftung Deutsche Sporthilfe zu haben,
die für viele Athleten ebenso eine Grundsicherung biete wie für
andere die Sportstellen bei der Polizei, dem Zoll und der Bundeswehr.

Und die ist trotz Folgen der Corona-Pandemie garantiert. Die bei
Bundespolizei und Zoll angestellten Spitzensportler seien
«vollumfänglich abgesichert», hatte das Bundesinnenministerium dem
«Spiegel» bestätigt. Auch für Sportsoldaten bei der Bundeswehr gebe

es keine Einbußen durch den ruhenden Sportbetrieb.

Auch die Deutsche Sporthilfe will die Athleten wie bisher
unterstützen. «Die Förderung wird für den aktuell bewilligten
Zeitraum unverändert fortgeführt», sicherte Sporthilfe-Vorstand
Thomas Gutekunst zu. Gefördert werden von der Stiftung rund 4000
Spitzenathleten. Auch für Zahlungen von Verdienstausfall für Training
oder Wettkämpfe, die Corona-bedingt kurzfristig abgesagt seien,
würden individuell flexible Regelungen getroffen.

«Die Spitzenathleten haben in den vergangenen zehn Jahren mehr an
sogenannter staatlicher Sportförderung bekommen, was zu mehr
Finanzstabilität geführt hat», sagte Breuer. Und des Weiteren sei
auch die Finanzförderung durch die Sporthilfe angestiegen. Allerdings
basiert ihre Athleten-Unterstützung auf Geld von Sponsoren und
Förderern. «Da kann man auch fragen, was die Finanzkrise für die
Sporthilfe bedeutet», meinte Breuer.