Der Klartexter - New Yorks Gouverneur wird Hoffnungsträger in Krise Von Benno Schwinghammer und Can Merey, dpa

Im Kampf gegen das drohende Pandemie-Desaster in den USA wird New
Yorks Gouverneur Cuomo zum Halt für immer mehr Amerikaner. Auch
deswegen, weil er sich als Gegenentwurf zu Trump präsentiert.

New York/Washington (dpa) - Andrew Cuomo spricht zur Nationalgarde,
hinter ihm hunderte Betten einer provisorisch aufgebauten
Notfallklinik in Manhattan. Die Symbolik ist eindeutig: Der
Gouverneur als Dreh- und Angelpunkt in größter Not. Als erster
Krisenmanager New Yorks. Dieser stolzesten aller Metropolen, die
selbst der 11. September nicht umhauen konnte - jetzt aber mit einer
Gefahr konfrontiert ist, die ähnlich an ihren Grundfesten rüttelt.

Cuomo hat sich in den vergangenen Wochen für viele Amerikaner weit
über die Grenzen seines Bundesstaates hinaus zum eigentlichen
Anführer in der Pandemie entwickelt. Sie schauen seine morgendlichen
Pressekonferenzen, die mittlerweile von TV-Sendern und
Nachrichtenseiten übertragen werden. Es sind oft diejenigen, die von
Präsident Donald Trump in der Krise enttäuscht sind.

DER ANTI-TRUMP

«Das wird Wochen um Wochen um Wochen dauern. Es wird ein langer Tag.
Und es wird ein harter Tag. Und es wird ein hässlicher Tag. Und es
wird ein trauriger Tag», ruft Cuomo den in der Krise abgestellten
Streitkräften zu. Er beschönigt nichts, der 62-Jährige redet
Klartext, sein Markenzeichen. Cuomo - dessen Vater Mario bereits
Gouverneur war - strahlt Sicherheit und Ruhe aus, er vermittelt das
Gefühl der Kontrolle einer kaum kontrollierbaren Situation.

Und er kann reden: Eine Stunde mit Fragen, frei und ohne Skript, aber
trotzdem strukturiert. Unbeirrt hat der Demokrat die Fakten parat zur
Funktionsweise von Beatmungsgeräten oder Studien zu Antikörper-Tests,
als hätte er nie etwas anderes gemacht. Er ist erfahren, wirkt aber
nicht alt, ist ernst, behält aber seinen Witz. So verkündet er,
Krankenhäuser, die ihre Kapazität nun verdoppelten, würden mit dem
«Goldenen Stern» ausgezeichnet werden. «Ich weiß noch nicht genau,

was das ist, aber darum kümmere ich mich später.»

PRÄSIDENT IN ALTEN VERHALTENSMUSTERN

Dass es im Angesicht der größten Herausforderung seit den
Terroranschlägen 2001 auch anders geht, zeigt das Weiße Haus. Trump
müht sich sichtlich, den ernsten Krisenmanager zu geben. Doch immer
wieder fällt er aus der Rolle und in alte Verhaltensmuster zurück. Da
ist zum Beispiel seine Abneigung gegen kritische Medien: So kanzelte
er vor wenigen Tagen einen Journalisten ab, der gefragt hatte, was er
als Präsident verängstigten Amerikanern sagen würde. «Ich sage, das
s
Sie ein furchtbarer Reporter sind», schimpfte Trump.

Auch mit dem Zugeben von Fehlern tut er sich bekanntlich schwer.
Mitte März sagte Trump auf die Frage, ob er Verantwortung für den
Mangel an Tests übernehme: «Nein, ich übernehme überhaupt keine
Verantwortung.» Zum Vergleich sagte Cuomo nach seiner Verhängung von
Ausgangsbeschränkungen: «Ich übernehme die volle Verantwortung».

Symptomatisch ist auch das Beharren des Republikaners darauf, dass es
sich um ein «chinesisches Virus» oder «ausländisches Virus» hande
le -
also um ein Problem, das von außen kam. Keinerlei Scham kennt er beim
Thema Eigenlob, das auch in der Krise immer wieder durchscheint. Auf
die Frage, wie er seine Corona-Politik auf einer Skala von eins bis
zehn bewerten würde, verlieh Trump sich die Bestnote.

DAS PROBLEM MIT DEM INSTINKT

Trump vertraut tendenziell lieber seinem Bauchgefühl als
Wissenschaftlern, entsprechend schwer tut er sich auch in dieser
Krise. In der vergangenen Woche sprach er sich plötzlich dafür aus,
dass die USA bis Ostern wieder weitgehend zum Normalbetrieb
zurückkehren sollten. Das brachte ihm die Kritik ein, die Wirtschaft
über das Leben vor allem Älterer und Kranker zu stellen. Dann
schwenkte Trump nach Gesprächen mit seinen wichtigsten medizinischen
Experten plötzlich doch wieder um - und verlängerte die
Schutzmaßnahmen am Sonntagabend (Ortszeit) bis Ende April.

Dazu kommen leere Versprechen. «Jeder, der einen Test braucht,
bekommt einen Test», kündigte der Präsident vor drei Wochen an. Das
ist in den USA immer noch nicht der Fall. Als falsch erwies sich auch
seine Prognose von Ende Februar, dass die Zahl der Coronavirus-Fälle
in den USA von damals 15 bald wieder auf «nahe Null» zurückgehen
werde. Stattdessen haben die USA inzwischen mehr bekannte
Coronavirus-Infektionen als jedes andere Land der Welt.

EIN MOMENT, DER PERSÖNLICHKEITEN FORMT

Bislang hat Cuomo es weitgehend vermieden, den Präsidenten direkt zu
kritisieren. Er will nicht den Zorn Trumps auf sich ziehen, von dem
er in vielen Belangen abhängig ist. Zudem könnten Angriffe in der
grundsätzlich tief gespaltenen US-Gesellschaft den Eindruck
politischer Grabenkämpfe erwecken. Das kann Cuomo nicht gebrauchen,
mehren sich doch sogar schon die Forderungen in den sozialen Medien,
er möge als Trump-Herausforderer bei den Präsidentschaftswahlen im
November antreten. Damit hat sich offenbar auch schon Trump befasst:
«Um ehrlich zu sein, er wäre ein besserer Kandidat als Sleepy Joe»,
sagte er dem Sender «Fox News» am Montag in Anspielung auf Joe Biden.

Cuomo betont immer wieder, dass es sein erstes Ziel sei, Leben zu
retten. Er habe schmerzhafte Entscheidungen getroffen und sei sich
sicher, dass sie politische Konsequenzen für ihn als Gouverneur haben
werden. «Um Klartext zu sprechen, das ist mir egal. Ich habe das
Richtige getan und ich bin stolz darauf.» Und zumindest indirekt
konterte er Trumps Plan zur Lockerung der Beschränkungen, als er
sagte, dass seine Mutter Matilda nicht «entbehrlich» sei. «Das sind
unsere Eltern und Großeltern, das sind unsere Tanten und Onkel, das
ist unser Verwandter, der krank ist. Und jeder Instinkt sagt: Helft
ihnen, schützt sie, weil sie uns brauchen!».

Mit etwas geschwollenem Tonfall wirkt er vor der Nationalgarde, man
kann es nicht anders sagen, präsidial. «Sie erleben einen
historischen Moment», erhebt Cuomo seine Stimme. «Ein Moment, der
diese Nation verändern wird. Ein Moment, der Persönlichkeiten formt».

Und man ahnt, dass er damit vielleicht auch sich selbst meint.
«Deshalb sage ich Euch, meine Freunde, lasst uns raus gehen und
diesem Virus in den Arsch treten.» Kurze Zeit später verschwindet der
Krisenmanager in den Tiefen der Halle. Leben retten.