Post sei Dank und Corona zum Trotz - Bayerns historischer Wahlsonntag Von Marco Hadem, Christoph Trost und Jennifer Weese, dpa

Aus Angst vor dem gefährlichen Coronavirus ist der Freistaat seit
über einer Woche praktisch stillgelegt. Damit die Demokratie dennoch
zu ihrem Recht kommt, ist viel Improvisation gefragt. Und Hoffen.

München (dpa) - Noch nie hat es eine solche Wahl in Deutschland
gegeben: Bei den rund 750 kommunalen Stichwahlen sollten in Bayern am
Sonntag Millionen Menschen abstimmen, wegen der Ansteckungsgefahr
aber ohne Wahllokale. Statt in Wahlurnen konnten im Freistaat bei der
historischen Briefwahl die Stimmzettel nur in einen der 19 559
Briefkästen im Land geworfen oder beim Wahlamt abgegeben werden.

Damit keine Stimme verloren geht, gab es gar Sonderleerungen der
gelben Kästen. Am Abend zeigte sich, dass die Wähler das Angebot auch
sehr gut annahmen: Kommune für Kommune meldete erfreulich hohe
Wahlbeteiligungen. Post sei Dank und Corona zum Trotz.

Wie schon bei der ersten kommunalen Wahlrunde vor zwei Wochen hält
das unsichtbare Coronavirus den Freistaat aber weiter fest im Griff.
Während Mitte März die Furcht noch eher abstrakt war, ist die
Krankheit nun längst allgegenwärtig: Bis zum Wahlsonntag wurden
landesweit 13 263 Menschen positiv auf Sars-CoV-2 getestet - damit
ist der Freistaat mit Nordrhein-Westfalen das meist betroffene
Bundesland. 110 Menschen starben hier bisher an den Folgen.

Natürlich war auch immer wieder eine Absage der Wahl Thema - doch die
Regierung um Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sieht die Wahl der
Landräte, Oberbürgermeister und Bürgermeister als systemrelevant an.

Die Abstimmung ist in diesen Tagen zugleich auch eine Art Halt in
Krisenzeiten. Eine Wahl ist persönliche Zukunftsentscheidung und
hohes demokratisches Gut zugleich. Die Botschaft dahinter also auch:
Von einem Virus lassen sich die Bayern ihre Demokratie nicht kaputt
machen.

Doch zur Wahrheit gehört auch, dass wegen des Virus im Freistaat
derzeit nichts mehr ist, wie es mal war: Schulen und Kindergärten
sind schon lange geschlossen, ebenso inzwischen alle Geschäfte und
Dienstleister, die nicht zur Deckung des alltäglichen Bedarfs
notwendig sind. Wie ernst die Lage ist, zeigt sich auch daran, dass
sogar Biergärten und Wirtshäuser Zwangspause haben. Und als reiche
dies nicht aus, gilt seit der für viele gefühlten Ewigkeit von gut
einer Woche eine Ausgangsbeschränkung, die jegliche sozialen Kontakte
von Menschen, die nicht zusammenwohnen, aus Schutz vor Ansteckungen
verbietet.

Angesichts einer solchen Ausgangslage drohen die Ergebnisse der
Wahlen leicht in den Hintergrund zu rücken. Was ist schon ein Sieg
von Partei X oder Kandidat Y gegen die ganz persönliche Existenzangst
der Menschen? Wie kann man sich auf politische Fragen konzentrieren,
wenn die ganze Welt still steht, die Grenzen verbarrikadiert sind,
die Wirtschaft offenen Auges in die Krise stolpert und statt des vor
Wochen noch heiß diskutierte Klimawandels nun nur noch eine Frage
interessiert: Wann ist die Krankheit endlich heilbar? Wann gibt es
Medikamente, einen Impfstoff - und damit ein Leben wie vor Covid-19?

Dass die Menschen im Freistaat in den vergangenen zwei Wochen genau
jene Fragen beschäftigten und nicht Wahlprogramme zu
Umgehungsstraßen, ÖPNV oder Wohnungsbau, haben auch die Politiker und
Parteien verstanden. Ein Wahlkampf wie sonst üblich mit Wahlkämpfern
in Einkaufsstraßen, an Haustüren oder bei Podiumsdiskussionen fiel
aus. Einzig die Plakate aus der Zeit vor der Corona-Krise erinnerten
beim Gang durch leere Straßen landauf und landab an den Wahlgang.

Dafür boomte zuletzt der Wahlkampf per Zeitungsannoncen, in Radio, TV
und im Internet. Gerade in den digitalen Townhalls, etwa in Form von
Diskussionsrunden, interaktiven Interviews oder bloß als plumpe
Monologe, suchten die Parteien und ihre Spitzenkandidaten die wenigen
noch dafür bereitwillig offenen Ohren. Gerne auch unter Zuhilfenahme
prominenter Zugpferde aus den eigenen Reihen. Doch im Grunde hatten
auch die Wahlkämpfer im Netz nur ein Thema: Corona.

Für CSU-Chef Söder war der Spagat zwischen seinen Interessen als
Parteichef und seiner Aufgabe als Regierungschef im Krisenmodus
besonders schwer: In Videos rief er - wie es sich für den Landesvater
gehört zum Wahlgang und zur Vorsicht in der Coronakrise auf. Dabei
konnte er sich Werbung für seine eigenen Leute nicht verkneifen.

Und zumindest in Söders Heimatstadt Nürnberg, in Augsburg und im für

die CSU aus Prestigegründen im Kampf gegen die Grünen wichtigen
Landkreis Miesbach geht die Rechnung auf. Hier können sich die
CSU-Kandidaten klar gegen die Konkurrenten durchsetzen. «Nürnberg war
immer eine Zentrale der Sozialdemokratie in Bayern», sagt
SPD-Generalsekretär Uli Grötsch. Die Niederlage schmerze sehr.
Dagegen muss die CSU in Ingolstadt nach 48 Jahren den OB-Posten an
die SPD abgeben.

In der Landeshauptstadt München heißt der Stadtchef auch in den
kommenden sechs Jahren Dieter Reiter. Auch wenn das Endergebnis erst
am Montag feststeht, ist der Trend unverkennbar: Der SPD-Mann lag am
Abend mit mehr als 71 Prozent überdeutlich vor CSU-Herausfordererin
Kristina Frank, die ihm daraufhin auch bereits gratulierte.

Dagegen müssen die Grünen am Ende konstatieren, dass sie zwar bei den
Mandaten in den kommunalen Parlamenten durchaus beachtliche Zugewinne
verbuchen können (plus 7,1 Prozent in den Kreistagen und Stadträten).
Ihr zur Wahl gestelltes Spitzenpersonal - etwa in München und
Miesbach - zog aber meist immer deutlich den Kürzeren.

In 18 Städten und 16 kreisfreien Städten standen bei den Stichwahlen
aber noch viele weitere spannende Entscheidungen an, die auch
durchaus außerhalb der Kommune Trends und Entwicklungen aufzeigen.
Anders als in früheren Jahren ist bei der Auszählung mehr Geduld
gefragt: Teils werden die Endergebnisse erst am Dienstag erwartet,
weil es weniger Wahlhelfer gibt und übliche Abläufe wegen
Schutzmaßnahmen und Sicherheitsabständen nicht greifen.

Und ob die Wahl am Ende juristisch unangefochten bleibt, ist auch
nicht sicher - denn schon bei der Versendung der Briefwahlunterlagen
kam es in einigen Kommunen zu erheblichen Problemen. Tatsächlich
könnte dies ein «wahlrechtlich erheblicher Umstand sein», heißt es

dazu aus dem Innenministerium.