Appell: Ärztliche Behandlungen nicht wegen Corona aufschieben

Senat und Verbände schlagen Alarm: Wegen der Corona-Pandemie scheuen
sich Schlaganfallpatienten, zum Arzt zu gehen. Derweil steigt die
Zahl der Infizierten weiter. Doch ist die Statistik realistisch?

Berlin (dpa/bb) - Angesichts der Coronakrise und überlasteter
Krankenhäuser scheuen sich einige Menschen mit anderen ernsten
Gesundheitsproblemen, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
«Berliner Krankenhäuser, in denen Schlaganfallpatienten versorgt
werden, verzeichnen zurzeit einen deutlichen Rückgang von
Schlaganfallpatienten», erklärte die Gesundheitsverwaltung am
Sonntag. «Es ist davon auszugehen, dass viele Patienten mit leichten
Schlaganfällen oder auch Herzinfarkten aus Angst vor einer
Infizierung mit dem Coronavirus zu Hause bleiben.» Dies dürfe nicht
sein.

Senat, Kassenärztliche Vereinigung (KV), Krankenhausgesellschaft
(BKG) und Ärztekammer riefen die Berliner gemeinsam dazu auf, im
Ernstfall keine Scheu vor der Inanspruchnahme der Notfallversorgung
zu haben. Bei notwendigen medizinischen Behandlungen - zum Beispiel
bei der Einstellung von Diabetes oder bei Bluthochdruck - solle jeder
seinen behandelnden Arzt konsultieren oder im Ernstfall
Rettungsstellen der Krankenhäuser, KV-Notdienstpraxen oder die
Notfallnummern 112 und 116117 kontaktieren.

«Für diese Menschen ist die ausbleibende Behandlung möglicherweise
gefährlicher als die verhältnismäßig geringe Wahrscheinlichkeit, si
ch
mit dem Coronavirus bei einem Besuch einer Praxis oder Rettungsstelle
zu infizieren», hieß es. Wichtige Behandlungen dürften nicht
aufgeschoben werden.

Unterdessen ist die Zahl der nachgewiesenen Corona-Infektionen in
Berlin am Samstag auf 2337 gestiegen. Damit sind 185 Fälle mehr
bekannt als am Vortag. 300 Patienten werden im Krankenhaus behandelt,
davon 64 auf der Intensivstation. Das geht aus der Statistik der
Gesundheitsverwaltung hervor. Neun Patienten sind nach der durch das
Virus ausgelösten Krankheit Covid-19 gestorben.

Die meisten Infizierten gibt es laut Statistik in der Altersgruppe
der 30- bis 39-Jährigen. Hier wurden 602 Fälle registriert. Von den
Infizierten sind 1243 männlich und 1088 weiblich. Bei sechs Personen
wurde das Geschlecht nicht übermittelt. Den höchsten Anteil an
Corona-Infizierten hat der Bezirk Mitte mit 367 registrierten Fällen.
Dahinter folgt Charlottenburg-Wilmersdorf mit 300 Fällen. Im Bezirk
Marzahn-Hellersdorf haben sich bislang die wenigsten Menschen
angesteckt. Dort liegt die Zahl bei 78.

Nach Einschätzung des Reinickendorfer Amtsarztes Patrick Larscheid
geben die Infektionszahlen nicht den wirklichen Sachstand wieder.
«Der Fallzahlanstieg kann ja nur so groß sein wie die Testkapazität
ist», sagte er am Samstag der Deutschen Presse-Agentur. «Das ist der
Knackpunkt. Die Tests in Berlin sind weiter auf 2000 am Tag
limitiert. Der Bedarf geht aber darüber hinaus.»

Um welchen Faktor die Fallzahlen unterschätzt sein könnten, sei auch
ihm unklar, so Larscheid. «Wir haben in Berlin im Moment
schätzungsweise eine Steigerung von 200 bis 400 Fällen täglich. Aber

aufgrund der begrenzten Testkapazitäten sehen wir die nicht alle in
der Statistik. Das ist das Problem.»

Für mehr Tests brauche man einfach mehr Geräte und Reagenzien, sagte
Larscheid. «Aber da sind wir marktabhängig. Das sind Dinge, die sind
so speziell, die wachsen nicht aus dem Boden.» Weiterhin führten in
Berlin nur einzelne Labore und das Robert-Koch-Institut diese Tests
durch. «Da kann man nicht einfach andere mitmachen lassen. Für eine
Abschätzung, ob Schutzmaßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen wirkten,
ist es nach Larscheids Meinung allein wegen dieser unsicheren
Datenlage noch viel zu früh.