Das Handy als Geheimwaffe im Kampf gegen das Coronavirus? Von Andrej Sokolow und Martina Herzog, dpa

Zur Eindämmung des Coronavirus verzichten die Menschen aktuell auf
vieles. Eine Lockerung der Auflagen wäre eher möglich, wenn der Staat
mehr Daten über seine Bürger sammelt, meint Gesundheitsminister
Spahn. Dabei steht Bewegungsfreiheit gegen Datenschutz.

Berlin (dpa) - Es klingt bestechend: Das Handy soll zum Mitstreiter
gegen das Coronavirus werden. Wer Kontakt hatte zu einem Infizierten,
könnte über die Standortdaten seines Mobiltelefons ermittelt und
informiert werden. Im ersten Anlauf ist Bundesgesundheitsminister
Jens Spahn (CDU) mit der Idee gescheitert. Aufgegeben hat er sie noch
nicht. Das Thema soll nun bei den Beratungen nach Ostern eine Rolle
spielen - wenn es um «eine Zeit nach Corona» geht, in der der Kampf
gegen das Virus anhält, die Einschränkungen aber gelockert werden.

Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag
der Deutschen Presse-Agentur gäbe es viel Rückhalt für solche
Überlegungen: 50 Prozent sagten, sie hielten die Ortung von
Kontaktpersonen von Infizierten für sinnvoll. 38 Prozent fänden das
unangemessen. 12 Prozent machten keine Angaben.

Welche Ortungsdaten kann man von Smartphones überhaupt bekommen?

Es gibt im Kern zwei Wege, Informationen über die Position eines
Mobiltelefons zu kommen: darüber, in welche Funkzelle es eingebucht
ist - also welche Masten Daten übermitteln - , und über
Satelliten-Systeme zur Positionsbestimmung wie GPS oder Galileo.

Was davon ist präziser?

Die Satelliten-Ortung ist auch in der Verbraucher-Version bis auf
wenige Meter genau. Durch den Datenschutz in den beiden
Smartphone-Betriebssystemen - Googles Android und dem iOS von Apples
iPhones - ist der Zugriff auf den GPS-Chip aber nur mit Zustimmung
des Nutzers möglich. Deshalb ist die gangbarste Lösung dafür eine
App, bei der Verbraucher freiwillig ihre Positionsdaten freigeben.

Und wie sieht es mit der Genauigkeit der Funkzellen-Daten aus?

In einer Funkzelle kann man die ungefähre Position eines Telefons am
Abstand zu Sendemasten bestimmen. Allerdings geht das selbst in
Innenstädten mit dicht gesäten Antennen nach Angaben von Experten
bestenfalls auf etwa 50 Meter genau. In Vororten oder auf dem Land
ist das Ergebnis noch weniger präzise. Die Methode wäre damit viel zu
ungenau, um Annahmen über eine Ansteckungsgefahr zu treffen. Zudem
speichern die Anbieter aktuell nur anonymisierte Positionsdaten.
Sobald ein Telefon eine Funkzelle verlässt, verfallen die
Informationen, die einem konkreten Nutzer zugeordnet werden können.
Will man sie erheben, müssten die Systeme erst umprogrammiert werden.

Würde man jede Kontaktperson sammeln?

Nein. Man müsste die Ergebnisse sinnvoll eingrenzen. «Man kann nach
Überschneidungen suchen, wie oft und wie lange jemand an der gleichen
Stelle wie jemand anderes war», sagt Fabian Theis, der sich am
Münchner Helmholtz Zentrum mit der mathematischen Modellierung
biologischer Prozesse beschäftigt. Diese Informationen könne man mit
Geoinformationsdaten abgleichen - um etwa herauszufinden, ob an
diesem Ort ein Café oder ein Park ist.

Ist das alles wirklich nötig?

Es gibt hier widerstreitende Interessen. Bisher haben Bund und Länder
zur Eindämmung des Coronavirus auf Blankomaßnahmen gesetzt: Für alle

greifen mehr oder weniger die gleichen Regeln, mit gewissen
Unterschieden zwischen den Ländern. Aber grundsätzlich gilt zum
Beispiel, dass der Aufenthalt im öffentlichen Raum nur mit höchstens
einer anderen Person, die nicht im gleichen Haushalt lebt, gestattet
ist. Die Auflagen sollen sowohl die Möglichkeiten zur Weitergabe des
Virus als auch zur Ansteckung verringern.

Wenn man die Zahl potenziell infizierter Menschen stärker eingrenzen
könnte - etwa über die Nutzung von Handydaten -, wäre die Lockerung
der Regeln für andere womöglich weniger riskant. Politik und
Gesellschaft müssen Datenschutz und Bewegungsfreiheit gegeneinander
abwägen. Es gibt aber auch ganz andere Überlegungen, etwa eine starke
Ausweitung an Tests oder mehr Vorsicht bei Risikogruppen und mehr
Bewegungsfreiheit für andere.

Welche Daten übergab die Telekom bereits dem Robert-Koch-Institut?

Das waren anonymisierte Daten, die ausschließlich Rückschlüsse
darüber erlauben, wie viele Telefone sich in welchen Gebieten bewegt
haben. Das RKI erhofft sich davon Erkenntnisse darüber, ob die
bisherigen Maßnahmen funktionieren.

Wie stehen Datenschützer dazu?

Die Weitergabe der anonymisierten Telekom-Informationen stufte der
Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber als rechtskonform ein.
Zugleich mahnte er: «Ich sehe, dass in anderen Staaten während der
Corona-Pandemie der Datenschutz teilweise vernachlässigt wird.» In
Deutschland ließen sich alle Lösungen aber auch grundrechtskonform
gestalten. Kelber gab auch zu bedenken: «Bisher fehlt jeder Nachweis,
dass die individuellen Standortdaten einen Beitrag leisten könnten,
Kontaktpersonen zu ermitteln. Dafür sind diese viel zu ungenau.»

Wie machen es andere Länder?

Das israelische Gesundheitsministerium ließ eine App entwickeln, mit
deren Hilfe Nutzer über den Kontakt mit Coronavirus-Infizierten
informiert werden sollen. Sie unterrichtet Nutzer, wenn sie sich in
den 14 Tagen vor einem positiven Coronavirus-Test in der Nähe eines
infizierten Menschen aufgehalten haben. Die App verfolgt die
Standorte der Nutzer und gleicht sie mit den Informationen des
Gesundheitsministeriums ab. Israel erlaubt dem Geheimdienst auch den
Einsatz von Überwachungstechnologie, die sonst zur Terrorbekämpfung
dient. Nach Medienberichten geht es um Handyüberwachung Erkrankter.

Auf Apps mit GPS-Zugang setzen auch Singapur und Österreich. Südkorea
übermittelt an Smartphones sogar Informationen über Alter, Geschlecht
und letzten Aufenthaltsort von Infizierten in der Nähe. China setzt
auf sein System sozialer Kontrolle, das unter anderem mit
Gesichtserkennung funktioniert.