Bischof Bätzing: «Ostern findet statt!» Von Christoph Driessen, dpa

Erstmals in der Geschichte gilt ein Gottesdienstverbot. Das sei
schmerzlich, sagt der neue Vorsitzende der Deutschen
Bischofskonferenz, Georg Bätzing. Aber es mache die Kirche auch
kreativ.

Limburg (dpa) - Erst in diesem Monat wurde Georg Bätzing als
Nachfolger von Reinhard Marx zum Vorsitzenden der Deutschen
Bischofskonferenz gewählt - und sieht sich nun bereits mit einer
beispiellosen Herausforderung konfrontiert: Gottesdienste sind wegen
der Corona-Krise bis auf weiteres verboten. Im Interview mit der
Deutschen Presse-Agentur erläutert der Bischof, wie die Kirche darauf
reagiert.

Frage: Herr Bischof Bätzing, wenn die Corona-Epidemie eines
offenbart, dann die Macht der Natur. Wenn nichts getan wird,
überleben nur die Stärksten. Wo ist in dieser Welt eigentlich Platz
für den liebenden Gott, den das Christentum predigt? Zeigt sich hier
nicht mal wieder, dass das alles nur eine schöne Illusion ist?

Antwort: Es zeigt sich doch aber genauso die Kraft
zwischenmenschlicher Solidarität. Ich bin überzeugt, diese Kraft
einer humanen Gesellschaft hat tiefe Wurzeln im christlichen
Gottesbild. Der liebende Gott ist in jedem präsent, der es aushält,
alleine zu Hause zu bleiben, um andere zu schützen. Und auch die
menschliche Vernunft und die medizinische Forschung und Wissenschaft,
die global vernetzt arbeitet, zeigen uns, was sie leisten können.
Menschen, die sich selbst einsetzen, sind für mich solche, die den
Gott bezeugen, der uns mit all diesen Kräften begabt hat. So werden
wir die Macht der Natur - konkret dieses Virus - brechen können.

Frage: Hat es eine solche Krise wie derzeit mit landesweiten
Gottesdienstverboten in der Geschichte schon einmal gegeben?

Antwort: Vergleichbares gab es zumindest nach meiner Erinnerung
bislang nicht. In Kriegszeiten kam es sicher zur Verlegung oder
kurzfristigen Absage einzelner Gottesdienste. Aber auch die Ursache
der jetzigen Situation - eine weltweite Pandemie - ist ja ebenso
unvergleichlich.

Frage: In Krisenzeiten schlägt eigentlich immer die große Stunde der
Kirchen. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie daran denken, dass
dieses Mal Gottesdienste verboten sind?

Antwort: Es gibt natürlich gute Gründe dafür, dass wir uns derzeit
nicht versammeln: Körperlicher Abstand bedeutet in diesen Zeiten
Sicherheit für uns und vor allem für die besonders gefährdeten
kranken und alten Menschen - das ist jetzt ein Gebot der
Nächstenliebe. Gleichzeitig stelle ich gerade in der gegenwärtigen
Krise ein starkes Bedürfnis nach Halt und Orientierung fest.

Frage: Ein Bedürfnis, dem Sie nicht entsprechen können?

Antwort: Wir bieten ja vieles andere an, von der Übertragung von
Gottesdiensten im Fernsehen bis hin zu kreativen Ideen für
Gebetszeiten in der Familie.

Frage: Aber wenn Sie an Ostern denken, das höchste Fest im
Christentum, wird Ihnen da nicht bange? Was wollen Sie tun, damit das
diesmal nicht eine sehr traurige Veranstaltung wird?

Antwort: Ostern findet statt! Das ist die wichtigste Botschaft. Ja,
es ist sehr schmerzlich, dass wir diese besonderen Tage im Jahr nicht
in gewohnter Weise gottesdienstlich feiern können. Wir werden aber
auch über die modernen Medien viele Gottesdienste anbieten können.
Ich bin ganz zuversichtlich, der Funke der Freude wird auch so
überspringen.

Frage: Die Kirche hat die Pflicht zum sonntäglichen
Gottesdienstbesuch nun aufgehoben, und die Beichte kann kollektiv -
in Generalabsolution - abgenommen werden. Es wirkt etwas merkwürdig,
wenn solche ehernen Gebote plötzlich mir nichts dir nichts kassiert
werden. Das erweckt den Eindruck, die Kirche halte diese Regeln
normalerweise nur deshalb aufrecht, um Macht über die Gläubigen
auszuüben.

Antwort: Wenn wir jetzt von Regelungen abweichen, die in normalen
Zeiten gelten, dann verstehen die Gläubigen das sehr wohl. Ich stelle
keineswegs fest, dass der Eindruck entsteht: Ach, dann ist das alles
ja wohl gar nicht so wichtig. Ganz im Gegenteil: Viele signalisieren
mir ihr größtes Bedauern darüber, dass nun am Sonntag und an den
Festtagen keine gemeinsamen festlichen Feiern möglich sind.

Frage: Aber vor allem die Jüngeren erreichen Sie mit herkömmlichen
Gottesdiensten ja immer weniger.

Antwort: Im Moment mache ich eher die andere Erfahrung. Was bislang
selbstverständlich und in diesem Sinne auch irgendwie «gewöhnlich»

war, wird jetzt sehr kostbar. Die Vielfalt von Gottesdienstformen vom
Kindergottesdienst über Taizégebete, Nightfever, Psalmen,
Bibel-Teilen, Rosenkranz und so weiter, die die katholische Kirche
kennt, ist ein unglaublicher Reichtum.

Frage: Wie können Seelsorger trotz aller Einschränkungen in Kontakt
mit den Gläubigen bleiben?

Antwort: Viele greifen zum Telefon, sie skypen und mailen. Dann sind
die Seelsorgerinnen und Seelsorger bei den großartigen Aktionen
junger Menschen für konkrete Helferdienste engagiert...

Frage: ...was sagen Sie zu dieser Welle der Hilfsbereitschaft?

Antwort: Es ist einfach wunderbar. Das zeigt im besten Sinne, was
menschenmöglich ist... Hoffentlich bewahren wir uns das lange über
die Krise hinaus.

Frage: Stimmt es, dass in Italien schon mehrere Priester an Corona
gestorben sind, weil sie Kranken die Sterbesakramente erteilt haben?

Antwort: Ja, am vergangenen Montag waren das schon 60, wie ich
gelesen habe. Fast alle gehörten zu den besonders gefährdeten
Personengruppen und haben sich im seelsorglichen Dienst angesteckt.
Das ist schon bewundernswert. Aber sicher auch nicht einfach zur
Nachahmung empfohlen. Jeder muss sich selbst schützen, so gut es
geht.

Frage: Was glauben Sie: Wie wird sich unsere Gesellschaft durch die
Corona-Krise verändern?

Antwort: Im Moment erleben wir einen historischen Augenblick, der
ganz sicher die Zukunft verändert. Positives an menschlicher Fürsorge
werden wir hoffentlich bewahren. Aber mir machen die ökonomischen
Auswirkungen größte Sorgen. Viele Menschen bangen um ihre berufliche
Existenz. Die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen sind da ganz
wichtig, und sie müssen schnell greifen. Hoffentlich erinnern wir uns
nach der Krise nochmal daran, wer jetzt die «Helden des Alltags»
sind: die Pflegekräfte und Ärzte, die Verkäuferinnen und Angestellten

in den Supermärkten, die Freiwilligen und Hauptberuflichen der
Feuerwehr und des Roten Kreuzes, der Hilfsdienste und der Polizei.
Werden diese Dienste wirklich so geschätzt und auch so entlohnt, wie
sie es verdient haben?

Frage: Und wie könnte sich die Kirche verändern?

Antwort: Wir üben uns jetzt in neuen Formen der Kommunikation. Die
Erfahrungen werden wir auswerten. Vor allem aber spüre ich:
Geistliche Angebote zur Orientierung für Menschen werden sehr
nachgefragt. Wir werden gebraucht. Deshalb werden wir uns auch ganz
sicher nicht aus dem öffentlichen Raum zurückziehen. Unsere offene
Gesellschaft lebt ganz entscheidend von Menschen und Institutionen
wie der der Kirche, die Werte leben und vermitteln.

ZUR PERSON: Der Limburger Bischof Georg Bätzing (58) ist seit Anfang
dieses Monats Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz (DBK).
2016 hatte er in Limburg unter denkbar schwierigen Bedingungen die
Nachfolge des «Protzbischofs» Franz-Peter Tebartz-van Elst
angetreten. Es gelang ihm, die Situation zu beruhigen und neues
Vertrauen aufzubauen. Der gebürtige Westerwälder ist seit 1987
Priester.