Alles anders - Was die Corona-Krise für das US-Wahljahr bedeutet Von Christiane Jacke, dpa

Eigentlich sollten die USA mitten im Vorwahlkampf stecken. Doch
plötzlich dreht sich alles um die Corona-Krise - und der Zeitplan für
die Wahl steht Kopf. Was heißt das für Präsident Trump, für seine
beiden potenziellen Herausforderer und für das Land?

Washington (dpa) - Die USA hatten sich auf ein besonders bewegtes
Jahr eingestellt - und auf ein großes Thema: die Präsidentschaftswahl
im November. Das Jahr ist ohne Zweifel bewegt, doch das Thema ist nun
ein anderes. Die Corona-Pandemie setzt der Welt zu und den
Vereinigten Staaten und ihrem Präsidenten im Besonderen. Das Wahljahr
ist schon jetzt komplett aus den Angeln gehoben. Und das Coronovirus
könnte Donald Trump politisch gefährlich werden.

VERSCHOBENE VORWAHLEN

Im März und April hätten diverse Vorwahlen angestanden. Doch wegen
der Ausbreitung des Coronavirus haben mindestens elf Bundesstaaten
ihre Vorwahlen bereits verschoben: Connecticut, Delaware, Georgia,
Indiana, Kentucky, Louisiana, Maryland, Ohio, Pennsylvania, Rhode
Island und New York. Andere Bundesstaaten haben ihre Briefwahlfristen
verlängert - auch das verzögert den Prozess. Mehrere Vorwahlen sind
nach jetzigem Stand auf den 2. Juni verlegt. Wenn es dabei bleibt,
wäre jener Juni-Dienstag noch mal eine Art kleiner «Super Tuesday».

ABGESAGTE AUFTRITTE

Wie das restliche öffentliche Leben in den USA ist auch der Wahlkampf
komplett zum Erliegen gekommen - zumindest in der analogen Welt.
Kundgebungen machen Trump und seine potenziellen Herausforderer von
den Demokraten, Joe Biden und Bernie Sanders, schon seit Wochen nicht
mehr. Ob die nächste TV-Debatte zwischen Biden und Sanders, die für
April geplant war, überhaupt stattfindet, ist unklar. Auch die
Organisatoren des großen Nominierungsparteitags der Demokraten im
Sommer beraten bereits über Notfallpläne - falls das Treffen nicht
wie geplant Mitte Juli abgehalten werden kann.

KÖNNTE DIE WAHL GANZ VERSCHOBEN WERDEN?

Das wäre extrem schwierig. Der Wahltermin ist gesetzlich festgelegt.
Also wäre eine Änderung durch den US-Kongress nötig, die noch dazu
vor Gerichten angefochten werden könnte. Außerdem wären auf diesem
Weg nur einige Wochen zu gewinnen. Denn der weitere Zeitplan ist
sogar in der Verfassung festgeschrieben und damit noch starrer: der
Starttermin für den neuen Kongress am 3. Januar und der Amtsantritt
des Präsidenten am 20. Januar.

Auf jeden Fall kann der Präsident nicht aus eigener Kraft eine
Verschiebung der Wahl durchsetzen, falls er das wollte oder es ihm
opportun erschiene. Bislang hat auch noch keine prominente Stimme
danach gerufen. Biden sagte kürzlich: «Wir haben mitten in einem
Bürgerkrieg gewählt. Wir haben mitten im Ersten und Zweiten Weltkrieg
gewählt.» Für ihn stehe eine Verschiebung der Wahl daher außer Frag
e.
Allerdings sind in der Corona-Krise schon ganz andere sichergeglaubte
Dinge ins Wanken geraten.

VIRTUELLER WAHLKAMPF

Die Präsidentschaftsanwärter setzen vorerst komplett auf Wahlkampf in
der virtuellen Welt - und auf das neue Mono-Thema. Sanders absolviert
einen digitalen Corona-Auftritt nach dem anderen. Er entwickelte
diverse virtuelle Formate, diskutiert in Online-Runden aus der Ferne
mit anderen Politikern und Experten über das Thema, macht virtuelle
Kundgebungen mit Gastauftritten zugeschalteter Musiker und Künstler,
sendet mit gebotener sozialer Distanzierung Videobotschaften von
einer Wiese in seiner Heimat Vermont, macht Live-Chats aus seinem
Wohnzimmer, gibt von dort aus Interviews und hat - in Anlehnung an
den Präsidenten - im Netz seine eigene «Ansprache an die Nation» zur

Krise gehalten.

NACHZÜGLER BIDEN

Biden tat sich dagegen schwerer mit der Anpassung an die neue
Realität. Erst war er über Tage abgetaucht, erkannte dann aber auch,
dass er vorkommen und das Coronavirus zum Solo-Thema machen muss.
Inzwischen hat auch Biden bei sich daheim in Delaware eine Art
improvisiertes Fernsehstudio eingerichtet, von wo aus er Interviews
gibt, virtuelle Pressekonferenzen vor dem Bücherregal abhält oder
Videobotschaften aufnimmt.

Der OMNIPRÄSENTE PRÄSIDENT

Allerdings haben es Biden wie Sanders schwer, gegen den
allgegenwärtigen Präsidenten durchzudringen, der in der Krise täglich

längliche Pressekonferenzen abhält und nach anfänglichen
Beschwichtigungsversuchen auf Hyperaktivität umgeschaltet hat. Gerade
erst hat Trump das größte Konjunkturpaket aller Zeiten unterzeichnet,
um die schwerleidende US-Wirtschaft zu stützen. Die Gegenmaßnahmen
der Regierung dominieren die Nachrichten, nicht die Vorschläge von
Trumps möglichen Herausforderern. Außerdem haben Biden und Sanders
den Balanceakt zu bewältigen, Trumps Kurs zu kritisieren, ohne einen
Präsidenten inmitten einer nationalen Krise zu sehr anzugreifen.

AUSGEBREMSTES RENNEN

Das Vorwahl-Rennen zwischen Biden und Sanders steht still. Biden
liegt nach jetzigem Stand zwar weit vorne, hat aber noch nicht die
nötige Mehrheit von 1991 Delegierten für den Nominierungsparteitag
der Demokraten zusammen. Solange ihm die fehlt und Sanders weiter
dabei ist, gilt das Rennen als offen. Und in den nächsten Wochen tut
sich erst einmal nichts. Die Corona-Krise, die das Thema Gesundheit
dauerpräsent macht, ist vielleicht der einzige Grund, warum Sanders
noch nicht ausgestiegen ist - in der Hoffnung, dass er hier punkten
kann. Eine Krankenversicherung für alle ist Sanders' Herzensanliegen.
Aber sehnt sich ein Land in einer Zeit, in denen eine dramatische
Gesundheitskrise die Welt erschüttert, ausgerechnet nach einer
gesundheitspolitischen Revolution?

TRUMPS WIEDERWAHL-ARGUMENT

Vor der Corona-Krise warb Trump vor allem mit einem Argument um seine
Wiederwahl: Der Präsident rühmte sich fast täglich mit der boomenden

US-Wirtschaft und einem vor Kraft strotzenden Aktienmarkt. Doch nun
sind Börsen und Wirtschaft wegen der Pandemie im Sinkflug.
Terroranschläge oder Kriege können Wahlen in letzter Minute drehen -
nun ist eine andere Katastrophe ähnlicher Größenordnung eingetreten.


KRISENMANAGER TRUMP

Derzeit versucht Trump, sich als Macher und Krisenmanager in Szene zu
setzen. Nicht ohne Erfolg: Eine Mehrheit der Amerikaner befürwortet
laut einer aktuellen Umfrage der «Washington Post» und des Senders
ABC Trumps Umgang mit der Krise. Seine Zustimmungswerte insgesamt
stiegen demnach auf den höchsten Wert in der regelmäßigen Umfrage
dieser beiden US-Medien: 48 Prozent äußerten sich positiv darüber,
wie Trump seine Aufgaben als Präsident bewältigt, 46 Prozent negativ.
Dass die Amerikaner ihren jeweiligen Präsidenten in Zeiten nationaler
Krisen stärker unterstützen, ist nicht ungewöhnlich. Doch es muss
sich zeigen, wie lange dies anhält. Denn es scheint, als habe die
schlimmste Phase der Corona-Pandemie in Amerika gerade erst begonnen.