Sigmar Gabriel wirft EU Versagen in Corona-Krise vor

Berlin (dpa) - Ex-Außenminister Sigmar Gabriel hat der Europäischen
Union Versagen bei der Bewältigung der Corona-Krise vorgeworfen.
«Offensichtlich haben wir eine Schönwetter-EU, denn in der größten

Bewährungsprobe seit ihrer Gründung versagt sie bisher vollständig»
,
sagte der Ex-SPD-Chef im ZDF-Politmagazin «Berlin direkt». «Das
Schlimmste war sicher am Anfang, dass selbst wir Deutschen nicht
bereit waren, dorthin, wo die Menschen schon reihenweise umfielen und
starben, nämlich nach Norditalien, Hilfsmittel zu liefern.»

Gabriel stellte die Frage, ob es so dramatisch gewesen wäre, wenn
Deutschland statt 156 Milliarden Euro an neuen Schulden 166
Milliarden aufgenommen hätte - und dann 10 Milliarden den Italienern
und Spaniern als Ersthilfe zur Verfügung gestellt hätte. «Die beiden

Länder hätten es uns vermutlich 100 Jahre gedankt, wenn wir das
gemacht hätten. So werden sie sich daran erinnern, dass nicht ihre
Nachbarvölker ihnen helfen - sondern die Chinesen.» Jetzt sei es so,
dass Deutschland den Eindruck vermittele, genauso zu handeln wie
Amerika - «und zwar nicht nur wir in Deutschland, sondern jedes
europäische Land, nämlich: My nation first! Wir denken an uns, nicht
an den Nachbarn.»

Gabriel warf auch den USA vor, Chancen verpasst zu haben. «Man stelle
sich mal vor, wir hätten einen amerikanischen Präsidenten, der eine
Rede halten würde und sagt: Die gesamte Stärke Amerikas packen wir
jetzt in die Fertigung von Medizinprodukten, von Beatmungsgeräten,
von Hilfsmaterialien - und zwar für unsere eigene Bevölkerung, aber
auch für alle, die Hilfe brauchen. Was das für ein Signal der alten
großen westlichen Führungsmacht Amerika gewesen wäre!» Stattdessen

erlebe man heute, wie sich die beiden großen Länder USA und China mit
Verschwörungstheorien eindeckten.

Gabriel war bis 2017 SPD-Chef, bis 2018 Außenminister und bis
November 2019 Abgeordneter im Bundestag.