Kanzleramtschef: Keine Lockerungen der Maßnahmen bis 20. April

Der Anstieg der Zahl der Infektionen mit dem Coronavirus gibt laut
Kanzleramtsminister Braun keinen Anlass, über Erleichterungen bei den
Kontaktbeschränkungen nachzudenken. Die Debatte über einen Ausstieg
aus den Einschränkungen geht dennoch weiter.

Berlin (dpa) - Kanzleramtschef Helge Braun hat betont, dass es vor
dem 20. April keine Lockerungen der Einschränkungen im Kampf gegen
die Coronavirus-Pandemie geben wird. «Wir reden jetzt bis zum 20.
April nicht über irgendwelche Erleichterungen. Bis dahin bleiben alle
Maßnahmen bestehen», sagte der CDU-Politiker dem «Tagesspiegel». We
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in den nächsten Tagen der Erfolg der Maßnahmen quantitativ zu messen
sei und man wisse, «wie sehr wir den Infektionsanstieg verlangsamt
haben, dann werden wir auf dieser Grundlage rechtzeitig vor dem 20.
April eine Strategie für die Zeit danach erarbeiten». Oberstes Ziel
sei es, das Gesundheitswesen nicht zu überfordern.

Die am 22. März von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und den
Ministerpräsidenten der Länder beschlossenen Kontaktbeschränkungen
seien für mindestens zwei Wochen verhängt worden, sagte Braun. Der
Deutschen Presse-Agentur in Berlin sagte er am Samstag: «Die
Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten der Länder werden in der
kommenden Woche die dann aktuelle Entwicklung der Neuinfektionen in
Deutschland bewerten. Bis heute gibt diese der Bundesregierung keinen
Anlass, eine Aufhebung von Maßnahmen zu erwägen.»

Merkel und die Ministerpräsidenten hatten in zwei Schritten wichtige
Beschränkungen für die Menschen im Kampf gegen die Ausbreitung des
Coronavirus beschlossen. In ihren Leitlinien vom 16. März ist
beispielsweise unter anderem festgelegt, dass Geschäfte außer etwa
Lebensmittel- und Getränkemärkte, sowie Spielplätze und Kirchen und
andere religiöse Stätten geschlossen werden sollen. Diese Beschlüsse

gelten bis zum 20. April, nach Ende der Osterferien.

Am 22. März, verschärfte die Runde dann die Kontaktbeschränkungen
weiter, um die Kontakte zu anderen Menschen außer den Angehörigen des
eigenen Haushalts «auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren».
Der Aufenthalt im öffentlichen Raum ist nur alleine, mit einer
weiteren nicht im Haushalt lebenden Person oder im Kreis der
Angehörigen des eigenen Hausstands gestattet. Erlaubt sind etwa der
Weg zur Arbeit, Einkäufe, Arztbesuche oder individueller Sport und
Bewegung an der frischen Luft. Die Beschlüsse vom 22. März gelten
mindestens für zwei Wochen, also bis zum 5. April. Viele Bundesländer
haben allerdings auch diese Beschlüsse schon bis 20. April verhängt.

«Unmittelbar nach Ostern werden wir sagen können, wie es generell
nach dem 20. April weitergeht», sagte Braun dem «Tagesspiegel».
Ältere Menschen müssten dabei noch deutlich länger als Jüngere mit

Kontakteinschränkungen rechnen. «Eines ist allen Modellen gemein,
egal, wie wir uns entscheiden: dass die älteren und vorerkrankten
Menschen in unserer Gesellschaft wirksam vor einer Infektion
geschützt werden müssen, bis es einen Impfstoff gibt», sagte Braun.

Als Messlatte für eine Trendwende und als Entscheidungsgrundlage für
eine Lockerung der Einschränkungen sieht Braun die Entwicklung der
Infektionsgeschwindigkeit. «Wenn wir es schaffen, die
Infektionsgeschwindigkeit so zu verlangsamen, dass wir zehn, zwölf
oder noch mehr Tage haben bis zu einer Verdopplung, dann wissen wir,
dass wir auf dem richtigen Weg sind.» Vor Beginn der Maßnahmen
verdoppelten sich die Fallzahlen in etwa alle drei Tage. Er habe den
Eindruck, dass sich die Bevölkerung vorbildlich an die Regeln halte.
«Und deshalb bin ich überzeugt, dass wir in einigen Tagen ihren
Erfolg sehen werden.»

Braun will sich nach eigenen Angaben an einem wie in Südkorea
praktizierten Mix aus Maßnahmen orientieren. «Die haben zum einen
genau solche Kontaktbeschränkungen gemacht, wie wir das jetzt in
Deutschland praktizieren. Sie haben darüber hinaus ein digitales
Tracking verwendet, über das man quasi vollautomatisiert erfährt,
falls man Kontakt zu Infizierten hatte.» Daneben habe das Land einen
sehr breiten Ansatz beim Testen.

Ärztepräsident Klaus Reinhardt forderte einen besseren Corona-Schutz
für Ältere und regte vorübergehende Heimunterbringungen an. In
Deutschland lebe im Vergleich zu Italien ein deutlich höherer Anteil
der Hochbetagten in Alten- und Pflegeheimen und nicht unter einem
Dach mit Kindern und Enkelkindern, sagte er der «Neuen Osnabrücker
Zeitung». «Das kann im Kampf gegen die Pandemie ein entscheidender
Vorteil sein. Denn in Einrichtungen ist es eigentlich gut möglich,
die besonders Gefährdeten vor Covid-19 abzuschotten.»

Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Georg Maier (SPD),
forderte unterdessen ein Exit-Szenario. «Wir müssen die
Kontaktbeschränkungen und Schulschließungen konsequent durchhalten,
bis wir in ein bis zwei Wochen erkennen, wie wirksam die Maßnahmen
sind», sagte der Thüringer Innenminister der «Welt» (Samstag).
Zugleich müsse man sich aber schon jetzt Gedanken machen, wie eine
Exit-Strategie aussehen könne. «Wenn die Kontaktbeschränkungen läng
er
als vier Wochen aufrechterhalten bleiben, kommen wir an ein Limit.»
Die psychologische Belastung für die Bevölkerung sei dann zu groß und

die Akzeptanz schwinde. Länder wie Südkorea und Schweden hätten auf
«Massentests und Isolation der Erkrankten» gesetzt. «Das müssen wir

als Ausstiegsszenario ins Augen fassen.»

Auch Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) erklärte, dass es die
Einschränkungen nicht ewig geben könne. «Alle Maßnahmen werden
getroffen, um Leben und Gesundheit der Menschen in unserem Land zu
schützen. Sie müssen aber auf das unbedingt Erforderliche begrenzt
bleiben, auch zeitlich», sagte Lambrecht der «Passauer Neuen Presse»

(Samstag). Aktuell gehe es darum, große Gefahren von den Menschen
abzuwenden und Menschenleben zu retten. «Die Einschränkungen müssen
aufgehoben werden, sobald dies verantwortbar ist.»

Patientenschützer mahnten Konzepte für besonders gefährdete
Bevölkerungsteile an. «Die Folgen des Corona-Stillstands sind
immens», sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz,
Eugen Brysch, der dpa. «Ein zügiges Hochfahren in Aussicht zu
stellen, ist aber jetzt unverantwortlich. Selbst wenn die
Risikogruppe isoliert wird.» Dies seien rund sechs Millionen
Menschen, darunter Lungen- und Krebskranke, akute Herzpatienten und
Pflegebedürftige. «Ihnen, ihren Helfern, Pflegern und Ärzten fehlen
oft die einfachsten Mittel für den Schutz vor einer Infektion», sagte
Brysch. Wer also jetzt von Ausstieg aus den Corona-Maßnahmen rede,
müsse zu allererst garantieren, dass Versorgung und Hilfe Tag für Tag
sichergestellt seien.

Derweil ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im
Auftrag der Deutschen Presse-Agentur, dass jeder zweite Deutsche
nichts gegen die Nutzung von Handy-Daten im Kampf gegen das
Coronavirus hätte. Demnach sagten 50 Prozent, sie hielten die Ortung
von Kontaktpersonen von Infizierten über die Standortdaten für
sinnvoll. Nur 38 Prozent fänden das unangemessen, 12 Prozent machten
keine Angaben.