Corona-Krise: Von der Leyen warnt vor neuer Kluft in der EU Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa

Seit Ausbruch der Pandemie ging in der Europäischen Union vieles
auseinander - vor allem durch einseitige Grenzkontrollen. Zerbricht
die Gemeinschaft daran? «Wir haben es selbst in der Hand», sagt
Kommissionschefin von der Leyen der Deutschen Presse-Agentur.

Brüssel (dpa) - In der Corona-Krise fürchtet Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyen um den Zusammenhalt der Europäischen Union. Nach
der Einführung von Grenzkontrollen habe man «in den Abgrund
geschaut», sagte von der Leyen der Deutschen Presse-Agentur. Sie
warnte vor einer Vertiefung der wirtschaftlichen Kluft, vor allem mit
Blick auf die Notlage Italiens. Doch betonte sie auch Fortschritte
bei gegenseitigen Hilfen und kündigte eine gemeinsame Strategie für
ein Ende der Kontaktsperren in den EU-Staaten an.

Mit Experten prüfe sie, «wann wir nach und nach die Maßnahmen der
«sozialen Distanz» wieder lockern könnten», sagte von der Leyen in

dem dpa-Interview. «Das Entscheidende ist: Das darf nicht zu früh
passieren, weil sonst das Risiko ist, dass das Virus wieder
aufflackert. Andererseits muss es so schnell wie möglich gehen, damit
unsere Wirtschaft nicht unnötig weiter leidet.» Wie lange das dauern
werde, könne heute niemand präzise vorhersagen. Das müsse man von
Woche zu Woche neu prüfen.

Die Grenzschließungen einzelner EU-Staaten hätten das Coronavirus
nicht aufgehalten, aber vielen Firmen sehr geschadet und wichtige
Lieferketten in Europa unterbrochen, kritisierte von der Leyen. Dabei
habe nur der Binnenmarkt die EU so wohlhabend und stark gemacht. Nun
wachse die Erkenntnis wieder, dass jeder EU-Staat mit gegenseitiger
Hilfe bessere Karten habe. «Deswegen liegt in dieser großen Krise
auch die Chance, dass sich Europa noch einmal neu erfindet», sagte
von der Leyen.

Auf die Frage, ob die EU zerbrechen könnte, sagte die
Kommissionschefin: «Wir haben es selbst in der Hand. Wir haben
anfangs in den Abgrund geschaut, aber wir haben in dieser Krise auch
wieder rasch das Positive und den Zusammenhalt gesehen.» Gegen Kritik
des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, der mehr Einsatz
der Kommission gefordert hatte, wehrte sich von der Leyen. «Das
Vertrauen der Mitgliedsstaaten ist da. Deswegen wurde die Kommission
vom Rat mit der Exit-Strategie und dem Wiederaufbauplan betraut. Das
spricht für sich.»

Auch einen Bericht des «Spiegel» über Pläne einer Anleihe der
EU-Kommission zur Schuldenaufnahme wies sie zurück. «Da gibt es ganz
klare rechtliche Grenzen, das ist nicht der Plan», sagte von der
Leyen. «Daran arbeiten wir nicht.» Zum heftigen Streit der EU-Staaten
über sogenannte Corona-Bonds - also eine gemeinsame Aufnahme von
Schulden - äußerte sie sich zurückhaltend. Italien und andere Lände
r
fordern dies, Deutschland und andere sind dagegen.

«Das Wort Corona-Bond ist ja eigentlich nur ein Schlagwort», sagte
von der Leyen. «Dahinter steht doch eher die größere Frage der
Haftung. Und da sind die Vorbehalte in Deutschland, aber auch in
anderen Ländern berechtigt.» Gleichzeitig mache sie sich Sorgen, dass
sich die wirtschaftliche Kluft in der EU vertiefe. «Das Ziel Europas
war es doch immer, dass wir wirtschaftlich zusammenrücken.»

Italien stecke unverschuldet in der Corona-Krise und sei
wirtschaftlich schwer getroffen, so von der Leyen. Gesunde
Unternehmen müsse man retten. «Da haben wir als Kommission vom Rat
den Auftrag bekommen, den Wiederaufbauplan zu entwerfen, das ist
jetzt die Schiene, auf der wir arbeiten», sagte von der Leyen.