Kitas und Schulen zu - mehr Gewalt gegen Kinder zu Hause Von Jutta Schütz, dpa

Ärzte in der Hauptstadt machen sich in Zeiten der Pandemie Sorgen um
vieles. Es geht auch um Kinder, die nun zu viel zu Hause sind.

Berlin (dpa/bb) - Die Berliner Gewaltschutzambulanz befürchtet durch
die Coronakrise einen starken Anstieg von Kindesmisshandlungen. «Die
soziale Kontrolle ist derzeit nicht da - der Bereich, wo sonst
Verletzungen von Kinder auffallen, also in Schulen, Kitas oder bei
Tagesmüttern, ist ja gerade weggefallen», sagte die Vizechefin der
Ambulanz, Saskia Etzold, der Deutschen Presse-Agentur. Schulen und
Kindereinrichtungen wurden geschlossen, um eine Ausbreitung des
gefährlichen Virus einzudämmen.

Verletzungen von Kindern, die nun viel zu Hause sind und von ihren
Eltern geschlagen oder getreten werden, würden derzeit von außen kaum
bemerkt werden. «Sie sind jetzt da, wo es nicht auffällt, wenn sie
verletzt sind», sagte Etzold. Die Oberärztin rechnete damit, dass
erst nach dem Ende der Kontaktsperren das Ausmaß sichtbar werde und
sich dann verstärkt betroffene Kinder meldeten oder gemeldet würden.
Wichtig sei das, bevor Verletzungen wieder verheilten.

Aus ihren Erfahrungen könne man das mit langen Ferien vergleichen, so
die Ärztin. «Nach dem Ende müssen wir uns jedes Mal um sprunghaft
mehr Fälle von Kindesmisshandlung kümmern.» 2019 wurden 70 solcher
Fälle dokumentiert. Insgesamt wurden in der Ambulanz im vergangenen
Jahr 1540 Gewalttaten, also auch von Gewalt unter Erwachsenen,
erfasst.

In der jetzigen Situation müssten viele Menschen um ihren Job bangen,
sie hätten Angst um ihre Zukunft, es gebe finanzielle Sorgen. «All
das sind starke Risikofaktoren für Ausbrüche, von denen dann die
Schwächsten getroffen werden», sagte Etzold. Große psychische
Belastung könne Gewalt enorm verstärken. «Wir müssen wohl davon
ausgehen, dasss die innerfamiliäre Gewalt in den nächsten Wochen
deutlich ansteigen wird.»

Nach Angaben von Polizeipräsidentin Barbara Slowik stiegen in Berlin
vom 1. bis zum 24. März die registrierten Gewalttaten in Familien,
oft von Männern gegen Frauen und Kinder gerichtet, gegenüber dem
Vorjahreszeitraum um knapp elf Prozent.

Etzold betonte, es komme jetzt darauf an, Menschen auf Hilfen
hinzuweisen, so dass sie schnell staatliche Unterstützung bekommen
könnten. Die gerade angelaufenen Programme seien elementar wichtig,
Betroffenen Angst und Sorge zu nehmen. «Wir müssen als Gesellschaft
aufeinander achten.»

Die Ambulanz mit elf Mitarbeitern, davon sieben Ärztinnen und Ärzten,
arbeitet nach Angaben der Vizechefin uneingeschränkt weiter. «Unser
Job funktioniert nicht im Homeoffice.» Die Mitarbeiter tragen
normalen Mundschutz und Handschuhe und es werde noch intensiver als
sonst desinfiziert.

Die vor sechs Jahren gegründete Ambulanz gehört zur Berliner Charité.

Opfer - sowohl Kinder als auch Erwachsene - können ihre Verletzungen
dort von Rechtsmedizinern vertraulich und kostenlos dokumentieren
lassen. Sie müssen nicht sofort entscheiden, ob sie die Täter
anzeigen. Die Dokumentation zählt auch später vor Gericht.

Rund 6500 Gewaltfälle wurden in der Ambulanz bislang untersucht. Drei
Viertel der erwachsenen Gewaltopfer sind Frauen, rund ein Fünftel
aller Betroffenen Kinder. Gefördert wird die Ambulanz in diesem Jahr
vom Land Berlin mit knapp 1,2 Millionen Euro. Auch im kommenden Jahr
ist diese Summe vorgesehen, hieß es in der Justizverwaltung.