Expertin: Häusliche Gewalt wird sich in Corona-Zeiten verschärfen

Für etwa jedes fünfte Kind in Deutschland besteht nach Schätzungen

von Experten ein Risiko, dass es Opfer von Missbrauch oder
Misshandlung wird. Um diese Kinder müsse man sich in Corona-Zeiten
besonders sorgen, sagt eine Saarbrücker Psychologie-Professorin.

Saarbrücken/Mainz (dpa/lrs) - Im Zuge der Corona-Krise rechnet eine
Saarbrücker Psychologin mit einem Anstieg von Fällen häuslicher
Gewalt. «Dort, wo es schon Gewalt gibt, da wird sie noch einmal
schlimmer. Und es werden leider auch neue Fälle hinzu kommen», sagte
die Leiterin des Lehrstuhls Klinische Psychologie und Psychotherapie
an der Universität des Saarlandes, Tanja Michael, der Deutschen
Presse-Agentur.

Grund für eine «Verschärfung» von häuslicher Gewalt sei der Umsta
nd,
dass nach der Schließung von Kitas und Schulen sowie weitgehenden
Kontaktverboten wegen der Corona-Pandemie Familien auf sich
zurückgezogen seien.

Vor allem um betroffene Kinder müsse man sich nun «extrem sorgen»,
sagte die Professorin. Die Zahl der Kinder, die zur Risikogruppe von
körperlicher Misshandlung und sexuellem Missbrauch gehöre, werde
bundesweit auf rund 20 Prozent geschätzt. «Die Täter haben jetzt viel

mehr Zugriff auf die Kinder, und die Kinder haben weniger
Möglichkeiten, nach außen Signale zu senden, dass etwas nicht
stimmt.» Hinzu komme, dass die Täter in der derzeitigen Situation
vermutlich «noch schlechter gelaunt sind als normalerweise».

Die Zahlen in der Statistik der Polizei umfassten nur einen Bruchteil
der betroffenen Personen, sagte Michael. Man müsse von einer hohen
Dunkelziffer ausgehen. «Die meisten Fälle werden nicht angezeigt.»

Die Polizeiliche Kriminalstatistik weist für Rheinland-Pfalz im Jahr
2019 rund 8400 Straftaten im Zusammenhang mit Gewalt in engen
sozialen Beziehungen aus. In knapp zwei Dritteln der Fälle waren die
Opfer Gewalt durch den Ehepartner oder den Lebensgefährten
ausgesetzt. Beim übrigen Drittel war der ehemalige Partner der Täter.
2010 hatte es in diesem Deliktfeld noch etwa 1000 Straftaten weniger
gegeben.

Im Saarland wurden 2018 rund 2600 Delikte der häuslichen Gewalt
registriert. Meist handelte es sich um Körperverletzungen. Drei
Viertel der Täter waren Männer.

Aus Wuhan in China, wo das Coronavirus zunächst grassierte, gebe es
Untersuchungen zu der Entwicklung: Dortige Frauenorganisationen
hätten in der Quarantäne-Zeit drei Mal so viele Opfer von häuslicher

Gewalt registriert. Zudem habe die Polizei doppelt so viele Notrufe
von Frauen bekommen. Manche würden auch aggressiv, weil sie ihre
Arbeit verloren hätten oder um Jobverlust fürchteten.

Michael ging davon aus, dass Zahlen zu der derzeitigen Entwicklung
erst Monate später vorliegen. «Wir werden einen Anstieg haben sowohl
im Aggressionsbereich als auch im Substanz-Abhängigkeitsbereich» zum
Beispiel mit Alkohol, prognostizierte sie. Gerade in der Zeit der
Zurückgezogenheit sei es wichtig, dass Lehrer, Nachbarn und
Hausbewohner aufpassten. Und: Dass sie weiterhin mit Opfern in
Kontakt blieben.