Viel hilft viel? Testen gegen die Corona-Krise

Zahlreiche Experten aus Wissenschaft und Politik scheinen sich
derzeit einig - die Ausweitung der Tests auf das Coronavirus ist das
Gebot der Stunde. Wie kann das klappen und was soll das bringen?

Berlin (dpa) - In der Diskussion über notwendige Maßnahmen zur
Bewältigung der Corona-Krise wird der Ruf nach mehr Tests immer
lauter. Auch das Bundesinnenministerium hat nun in den Chor
eingestimmt. Über Erwartungen, Gründe, Risiken und Grenzen:

Warum will Bundesinnenminister Horst Seehofer mehr testen lassen?

Die Bundesregierung setzt darauf, die Ausbreitung des Virus zu
verlangsamen, damit sich Kliniken, niedergelassene Ärzte und Labors
besser vorbereiten können. Konkret heißt das zum Beispiel, mehr
Beatmungsgeräte und Schutzkleidung beschaffen, mehr Intensivbetten
zur Verfügung stellen. Das ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Deshalb
hat man mit Kontaktverboten und Einreisebeschränkungen relativ
strikte Maßnahmen ergriffen. Im Innenministerium gibt es zudem die
Überlegung, dass mehr Menschen einen Corona-Test machen sollten. Wer
positiv getestet wird, käme dann je nach Zustand in häusliche
Quarantäne oder in eine speziell für Corona-Patienten vorgesehene
Klinik-Abteilung.

Ist das mit den vielen Tests nicht ein riesiger Aufwand?

Doch. Allerdings setzt man im Innenministerium auf Schnell- und
Selbsttests. Außerdem sollen tiermedizinische Labors,
Universitätslabors und andere Einrichtungen, die technisch in der
Lage sind mitzumachen, hier eingebunden werden.

Wie ist die gesundheitspolitische Sicht?

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) betont, dass die Kapazitäten
schon hochlaufen und im internationalen Vergleich enorm sind - mit
wöchentlich möglichen 300 000 bis 500 000 Tests. Dabei sei beides
richtig: «Wir wollen viel testen, aber zielgerichteter testen.» Das
zeige sich auch daran, dass bisher rund zehn Prozent der Ergebnisse
positiv seien. Das Robert-Koch-Institut hat seine Empfehlungen aber
auch schon erweitert und nennt nicht mehr Aufenthalte in speziellen
Risikogebieten als Test-Grund. Die Kassenärzte mahnen jedoch weiter,
nun nicht Gesunde ohne Symptome auf breiter Front zu testen. Auch bei
neuen Schnelltests sind sie wie Spahn aus fachlicher Sicht abwartend.

Wird denn jetzt schon wirklich jeder getestet, der Symptome hat?

Nein. Wenn jemand aufgrund eines Kontakts zu Infizierten oder nach
der Rückkehr aus einem Risikogebiet vom Gesundheitsamt in Quarantäne
geschickt wird, wird er nicht unbedingt getestet. Auch mit Blick auf
begrenzte Kapazitäten. Das gilt auch für Menschen, die nur leichte
Symptome haben - zum Beispiel etwas erhöhte Temperatur und leichten
Husten.

Was halten Wissenschaftler von Schnelltests, wie sie jetzt von Bosch
entwickelt wurden?

Es gibt eine Reihe von Stimmen, die das Verfahren als sehr material-
und kostenaufwendig kritisieren. Ein Gerät könne zudem selbst im
24-Stunden-Betrieb nur 10 Proben am Tag auswerten, sagte etwa
Matthias Orth, Chefarzt am Institut für Labormedizin am
Marienkrankenhaus in Stuttgart. Für Krankenhäuser und Arztpraxen sei
ein solches Gerät darum nicht geeignet. Auch von den nun an vielen
Stellen angebotenen Antikörper-Schnelltests aus einem Bluttropfen rät
der Experte ab. Im Gegensatz zu den sogenannten PCR-Tests, die eine
Infektion nachweisen, wird das Blut bei diesen Tests auf Antikörper
untersucht. Ob die nachgewiesenen aber tatsächlich Antikörper gegen
das neuartige Coronavirus und nicht etwa gegen ein anderes
Grippevirus sind, lasse sich nicht mit Sicherheit sagen, so Orth.

Wäre es sinnvoll, medizinisches Personal und alle, die in der
Altenpflege arbeiten, regelmäßig zu testen?

In Italien und Spanien ist die Infektionsrate bei medizinischem
Personal bereits besonders hoch. Schnelltests könnten eine
Möglichkeit sein, um Personen mit einem gewissen Risiko zu
untersuchen. Andere erhoffen sich von den regelmäßigen Tests vor
allem epidemiologische Erkenntnisse über die Durchseuchung. Eine
Aussage über einen sicheren Schutz für den Einzelnen liefere das aber
nicht, sagt Orth. Derzeit sei noch nicht sicher, ab welcher
Konzentration die Antikörper tatsächlich auch einen Schutz vor einer
Infektion böten. Unklar sei auch, ob oder wie häufig man sich erneut

anstecken kann.

Und was ist mit Lehrern - könnte das ein Weg sein, Schulen in einigen
Wochen wieder zu öffnen?

Experten sind sich uneinig, ob die Größenordnung an notwendigen Tests
so schnell verfügbar sein könnte. Andere stellen den Nutzen allgemein
in Frage. Ein Argument: Schulen seien nicht geschlossen worden, um
Lehrer zu schützen, sondern um die Weiterverbreitung einzudämmen.
Kinder sind besonders effektive Weiterverbreiter. Für Lehrer kann es
zudem risikoreich sein, sich mit den vielen Schülern zu umgeben.

Was hat das zu tun mit der Debatte um die Handy-Ortung?

Es geht darum, Infizierte und Nicht-Infizierte für eine Zeit zu
trennen. Technisch ist es möglich, wenn man Handy-Standortdaten
nutzt, um zurückzuverfolgen, wer sich während der Inkubationszeit in
der Nähe eines Menschen aufgehalten hat, bei dem eine
Corona-Infektion festgestellt wurde. So findet man nicht nur die
Tante, mit der man am Tisch gesessen hat, sondern auch den Paketboten
und die Apothekerin, bei der man das Grippemittel gekauft hat. Immer
vorausgesetzt, die Kontaktpersonen sind auch Handy-Nutzer.

Kommt das nicht einer Totalüberwachung gleich?

Das kommt darauf an, wie man es anlegt. Die Handy-Ortung wirft
sicherlich datenschutzrechtliche Fragen auf und stößt daher bei
einigen Menschen auf Widerstand. Eine Möglichkeit, die wohl weniger
Bedenken auslösen würde, wäre eine App, die jeder freiwillig auf
seinem Handy installieren könnte. Ähnlich wie bei der Verbindung
zwischen Mobiltelefonen per Bluetooth oder AirDrop würden dann nur
Handys erfasst, auf denen die App installiert ist. Der Vorteil für
die Nutzer: Würde eine Kontaktperson, die diese App auch installiert
hat, positiv getestet, erhielten sie eine anonymisierte Info, nach
dem Motto: «Vorsicht, einer Ihrer Kontakte hat Covid-19, bitte
kontaktieren Sie die Behörden, um sich testen zu lassen.»