Rheinland-Pfalz greift wegen Corona tief in die Landeskasse

Der Landtag beschließt in einer denkwürdigen Sondersitzung
zusätzliche Ausgaben in Milliardenhöhe. Das Land verschuldet sich
neu, um das Gesundheitswesen zu stärken und Unternehmen vor
Existenznot zu bewahren.

Mainz (dpa/lrs) - Mit Milliardenhilfen für das Gesundheitssystem und
Unternehmen stärkt Rheinland-Pfalz die Abwehr gegen die
Corona-Pandemie. Im Eilverfahren verabschiedete der Landtag am
Freitag mit den Stimmen aller fünf Fraktionen einen Nachtragshaushalt
im Umfang von 3,3 Milliarden Euro. Das Ausgabengesetz stellt fest:
«Die Corona-Pandemie ist eine Naturkatastrophe im Sinne von Artikel
117 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a der Verfassung für
Rheinland-Pfalz.» Damit wird es auch möglich, Schulden aufzunehmen.

Zu Beginn der Sondersitzung des aus Gründen des Infektionsschutzes
auf 68 Abgeordnete verkleinerten Plenums sagte Landtagspräsident
Hendrik Hering (SPD): «Wir stehen aktuell gemeinsam vor der größten
Herausforderung in der Geschichte unseres Bundeslands.» Aber in der
Krise zeige die Demokratie auch ihre Stärke und die Gesellschaft
«eine neue Sensibilität für Gemeinwohl und Solidarität», etwa in

Gestalt von zahlreichen Netzwerken der Hilfsbereitschaft, die in
kurzer Zeit entstanden seien.

Die rheinland-pfälzische Finanzministerin Doris Ahnen (SPD) räumte
ein: «Wir haben derzeit keine Sicherheit über Dauer und Schwere der
Pandemie, und auch nicht über das Ausmaß ihrer wirtschaftlichen
Folgen.» Aber die Menschen in Rheinland-Pfalz dürften in ihren
berechtigten Sorgen nicht alleingelassen werden.

Der in kürzester Zeit erstellte Nachtragshaushalt hat ein Volumen von
3,3 Milliarden Euro. Davon sind 800 Millionen als direkte Ausgaben
vor allem für Maßnahmen im Gesundheitswesen und für Hilfszahlungen an

Unternehmen vorgesehen, jeweils 100 Millionen für die Kommunen und
für die Anschaffung eines künftigen Impfstoffs gegen das
Corona-Virus, 2,2 Milliarden für die Erhöhung von Landesbürgschaften

und 53 Millionen Euro für Maßnahmen zum Schutz des Waldes.

Finanziert wird dies teils durch einen Verzicht auf bisher geplante
Maßnahmen zur Schuldentilgung und zur Aufstockung von
Haushaltsrücklagen, teils durch die Aufnahme neuer Kredite im Umfang
von 638,5 Millionen Euro. Die Schulden sollen ab 2024 zurückgezahlt
werden. Ahnen kündigte auch ein Programm für kleine Vereine an, die
durch die Corona-Pandemie in Existenznot geraten, und sagte: «Die
Zivilgesellschaft darf aus dieser Krise nicht geschwächt
hervorgehen!»

Änderungsanträge der beiden Oppositionsfraktionen wurden abgelehnt.
CDU und AfD stimmten dem Gesamtpaket aber zu und sprachen von einem
Vertrauensvorschuss. «Wir verbinden dies mit dem Angebot, als
CDU-Fraktion weitere Maßnahmen konstruktiv zu begleiten», sagte
Fraktionschef Christian Baldauf. Denn zum jetzigen Zeitpunkt sei
nicht absehbar, ob die Maßnahmen auch die gewünschte Wirkung
entfalten könnten.

«Wir würden das ein oder andere anders machen», sagte Baldauf. Im
Gesundheitssystem fehlten vor allem Kapazitäten für flächendeckende
Tests auf das Coronavirus. Auch dürfe in der jetzigen Situation kein
Krankenhaus in Rheinland-Pfalz schließen, wie es jetzt den
Loreley-Kliniken in St. Goar und Oberwesel drohe. «Wir brauchen jedes
Bett, jede Schwester, jeden Arzt.» Zu den Hilfen für die Wirtschaft
forderte Baldauf, dass neben Darlehen mehr Zuschüsse für Unternehmen
nötig seien, auch für Unternehmen mit mehr als 30 Mitarbeitern.

AfD-Fraktionschef Junge sagte, der Nachtragshaushalt enthalte einen
«Blankoscheck über 800 Millionen Euro». Die Opposition könne ihre
Kontrollfunktion bei diesen geplanten Ausgaben kaum wahrnehmen.
Angesichts der bestehenden Unsicherheiten sei dieses Vorgehen aber
sinnvoll. Statt der Aufnahme neuer Kredite forderte Junge allerdings
die Entnahme der benötigten Mittel aus der
Haushaltssicherungsgrundlage.

«Wir legen sehr viel Geld in die Kasse», sagte der
SPD-Fraktionsvorsitzende Alexander Schweitzer. Er griff die Forderung
Baldaufs auf, dass das Land in einer besonderen Geste die Kosten für
Mahlzeiten der Pflegekräfte übernehmen solle. Am Ende sei es aber
wichtiger, Pflegekräften, Busfahrern, Paketboten und Verkäuferinnen
und Verkäufern einen fairen Lohn sicherzustellen.

Das Ausmaß an freiheitseinschränkenden Maßnahmen aufgrund der
Corona-Krise sei für die Liberalen vor wenigen Wochen noch
unvorstellbar gewesen, sagte FDP-Fraktionsvorsitzende Cornelia
Willius-Senzer. Bei allen Maßnahmen müsse die Verhältnismäßigkeit

gewahrt bleiben, und «die Ausnahmesituation darf nicht zu dauerhaften
Grundrechtseinschränkungen führen».

Für die Grünen sagte Fraktionschef Bernhard Braun: «Wir haben das
Schlimmste noch vor uns, wir stehen erst am Anfang.» Da auch im
nächsten Jahr viel Geld benötigt werde, sei jetzt ein «nachhaltiges
Denken» in der Finanzpolitik nötig. Die Parteien sollten jetzt
zeigen, «dass wir keinen Wahlkampf machen müssen aufgrund des
Coronavirus». Jetzt gehe es darum, zusammenzustehen und
Streitigkeiten zurückzustellen.

Die Landesvereinigung Unternehmerverbände Rheinland-Pfalz (LVU)
begrüßte die Verabschiedung des Nachtragshaushalts. LVU-Präsident
Gerhard Braun forderte aber auch, Darlehen nicht nur zu 90 Prozent,
sondern hundertprozentig mit Bürgschaften abzusichern. Auch sollte
Rheinland-Pfalz bei der Umsatzsteuer wie andere Bundesländer eine
Rückzahlung der bereits geleisteten Sondervorauszahlung ermöglichen.