Coronakrise ist auch Betreuungskrise für Behinderte und Senioren

Das öffentliche Leben steht still, Kitas und Schulen sind zu. Schwer
genug - aber was ist mit denen, die sich um betagte oder behinderte
Angehörige kümmern müssen?

Stuttgart (dpa/lsw) - Die Tagespflegen für Senioren sind geschlossen,
die Werkstätten für Menschen mit Behinderung zu. In Zeiten von Corona
ist die Not von Angehörigen betreuungsbedürftiger Menschen damit noch
größer als sonst. «Es ist eine Krisensituation, eine
Ausnahmesituation», sagt eine Sprecherin des Sozialverbands VdK
Baden-Württemberg.

Wegen der Corona-Infektionsgefahr stehen die rund 400 Werkstätten für
Behinderte im Land nicht mehr zur Verfügung. Rund 35 000 Menschen mit
Behinderung, die sich normalerweise tagsüber in Werkstätten aufhalten
und dort arbeiten, müssen in ihren Wohnheimen bleiben oder von den
Eltern versorgt werden. Auch Tausende von Tagespflegeplätzen, wo
Senioren sonst unterkommen können und Angehörige entlastet werden,
sind nicht mehr nutzbar.

Hinzu kommt, dass osteuropäische Betreuer, die oft die häusliche
Betreuung Pflegebedürftiger übernehmen, aus Angst vor Corona abreisen
oder nicht mehr einreisen können. «Zahlreiche Arbeitnehmer stehen
plötzlich im Regen», berichtete der Verband für häusliche Pflege un
d
Betreuung. Sie müssten die Betreuung von dementen oder
pflegebedürftigen Eltern selber übernehmen.

Das Unternehmen Sofiapflege aus Leonberg bei Stuttgart, das
deutschlandweit Betreuer vermittelt, spricht von einer
unübersichtlichen Lage, deutlich erschwerten Bedingungen und auch
längeren Wartezeiten für Neukunden, die nach einer häuslichen
Betreuung suchen. Das Sozialministerium berichtet von einer hohen
Zahl an Anfragen besorgter Angehöriger, ebenso wie die Stiftung
Patientenschutz.

Das Problem ist den Trägern der Einrichtungen bewusst. Die
Geschäftsführerin der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für

behinderte Menschen, Christa Grünenwald, sagt: «Wir haben immer
betont, wenn die Schließung kommt, muss es die Möglichkeit geben, den
Menschen, die eine Tagesstruktur benötigen, Betreuung zu bieten.»
Personal der Werkstätten unterstütze daher das Personal in
Wohngruppen und -heimen. Auch gebe es Notbetreuungen in den
Werkstätten, wenn es keine andere Versorgungsmöglichkeit gibt. «Im
Moment fühlen sich die Träger der Wohnangebote im Stich gelassen»,
sagt die Geschäftsführerin des Landesverbandes für Menschen mit
Körper- und Mehrfachbehinderung, Jutta Pagel-Steidl.

Für die Angehörigen von Senioren verursacht die Schließung von
Tagespflege-Einrichtungen ebenfalls große Probleme. «Das Thema
schlägt zunehmend bei uns auf», sagt Sabrina Menze, die im Landkreis
Karlsruhe als Koordinatorin für die fünf Pflegestützpunkte zuständi
g
ist. «Ich kann mir vorstellen, dass es zu sehr prekären Situationen
kommen kann.»

Das Sozialministerium verweist auf Ausnahmen, die auch in der Tages-
und Nachtpflege zugelassen sind, wenn es zum Beispiel nicht möglich
ist, dass die Betroffenen zu Hause betreut werden. «Je länger die
Krise dauert, desto höher wird die Belastung in der Familie werden»,
sagt Menze. «Wir hoffen, dass das alles nur eine Übergangszeit ist.»