Dafür sorgen, dass das Leben weitergeht Von Cordula Dieckmann, Monia Mersni, Cindy Riechau und Thomas Strünkelnberg, dpa

Ob Verkäufer, Erzieherinnen oder Straßenbahn-Fahrer: Lob, Dank und
Anerkennung sind meist nicht selbstverständlich. Doch diejenigen, die
in der Coronavirus-Pandemie am meisten gefragt sind, erleben jetzt
ganz neue Wertschätzung. Aber sie haben auch Fragen.

Hannover (dpa) - Er habe keine Berührungsängste, sagt Thomas Löbl -
fügt aber gleich hinzu, dass er kaum Kontakt zu seinen Fahrgästen
hat. Also alles wie immer für den Stadtbahnfahrer? Nein, keineswegs,
mitten in der Coronavirus-Pandemie hat sich etwas geändert: Die
Menschen bedanken sich dafür, dass sie zur Arbeit oder zum Einkaufen
gefahren werden. «Das ist schon was wert», sagt der 58-Jährige. Und
es macht ihn stolz: «Man kriegt nun die Anerkennung, die man die
ganzen Jahre nicht bekommen hat, weil für die Leute alles normal
war.»

Löbl, der seit über 34 Jahren bei den Hannoverschen Verkehrsbetrieben
Üstra arbeitet, gehört zu denen, die trotz Corona-Stillstands dafür
sorgen, dass das Leben weitergeht. So wie Ärztinnen und Ärzte,
Krankenschwestern, Pfleger, Kassierer im Supermarkt, Erzieherinnen
oder Apotheker steht er in vorderster Front derer, die sich gegen das
Virus und seine Folgen stemmen. Eine 47 Jahre alte Krankenschwester
sagt, nie in 25 Jahren Berufsleben sei ihr so eine Wertschätzung
entgegengebracht worden wie derzeit: «Das tut gut.» Pfleger fordern
aber auch statt Beifall vor allem bessere Bezahlung.

Andererseits: «Ich fühle mich ein bisschen unwohl», sagt eine
17-Jährige aus dem Raum München, die neben der Schule im Supermarkt
jobbt: «Vor allem, wenn manche Kunden sich in die Hände husten, bevor
sie mir das Bargeld geben. Das ist eklig. Ich mag es lieber, wenn die
Leute mit Karte bezahlen.» Zudem habe es für die Mitarbeiter in ihrem
Markt anfangs kaum Schutzmaßnahmen gegeben. «Ich habe versucht, mir
nicht ins Gesicht zu fassen, aber ich hätte es besser gefunden, wenn
von Anfang an Handschuhe oder genug Desinfektionsmittel da gewesen
wären.» Inzwischen hielten die Kunden an der Kasse Abstand zum
Vordermann - zumindest die meisten. «Einmal haben sich Jugendliche
darüber lustig gemacht, weil eine ältere Frau den Sicherheitsabstand
wollte, das fand ich nicht so cool», sagt sie.

Eine Verkäuferin in einem Bio-Supermarkt wünscht sich ebenfalls, dass
die Kunden Abstand halten. Schutzwände an den Kassen habe es bis
jetzt nicht gegeben, diese sollten aber kommen. Außerdem habe sie
eine Kollegin, die «sehr dahinter her» sei, dass Abstand voneinander
gehalten werde. Daher habe sie keine Bedenken, zur Arbeit zu gehen.
Und die Kunden? Die bedankten sich immer wieder: «Darüber freue ich
mich - und bin gerührt», sagt die 40-Jährige aus Hannover.

Die Mitarbeiter einer Berliner Filiale der Drogeriemarktkette erleben
unterschiedliche Reaktionen: Während viele Kunden dem Team Gesundheit
wünschten, schimpften manche über die Limitierung einzelner Waren
oder empfänden den Sicherheitsabstand an den Kassen als unhöflich.
«Aber unsere Gesundheit geht vor», betont Kim Reichelt. Die
stellvertretende Filialleiterin erzählt, dass sich vor der
Geschäftsöffnung Schlangen vor dem Laden bildeten.

Direkt nach der Lieferung ist selbst Toilettenpapier reichlich da.
«Entschuldigen Sie, Sie dürfen leider nur eine Packung mitnehmen»,
klärt Reichelt eine Kundin auf, die zwei Pakete der begehrten Ware
zur Kasse tragen will. Die Frau reagiert verständnisvoll, ihre kleine
Tochter räumt ein Paket zurück ins Regal. «Anfangs haben einige
Kunden bis zu sieben Packungen mitgenommen, da mussten wir
reagieren.» Limitiert sei auch Desinfektionsmittel - und nur auf
Nachfrage erhältlich. Immerhin habe sich der Nudel-Bestand erholt:
«Die Kunden sind inzwischen einsichtiger.»

Stadtbahnfahrer Löbl staunt vor allem, wie sich der Alltag verändert
hat. Zwar sitzt der 58-Jährige wie immer in seinem Führerstand, aber
der Blick auf die Straßen sei «gespenstisch»: Weniger Verkehr, kaum
Menschen zu sehen. Die Verkehrsbetriebe hätten in der Corona-Krise 90
Prozent der Fahrgäste eingebüßt, sagt Johannes Gregor, Bereichsleiter

Stadtbahn. Dass Kollegen sich beim Fahrerwechsel durch eine Traube
wartender Menschen wühlen müssten - das gebe es nicht mehr. Es sei
leichter, Abstand zu halten.

Genau das gilt für eine 44-Jährige aus Laatzen bei Hannover nicht.
Sie ist Erzieherin, im Moment zwar freigestellt, aber nach Ostern in
der Notfallbetreuung im Einsatz. Kontakt zu vermeiden und Abstand zu
halten sei im Kindergarten unmöglich, die Erzieher nähmen die Kleinen
beispielsweise in den Arm, um sie zu trösten. Oder Erzieherinnen im
Schutzanzug - das sei nicht vorstellbar, die Kinder würden es nicht
verstehen. Ohnehin sei keine Schutzkleidung da, auch keine
Atemschutzmasken. So stelle sie sich die Frage: «Was wird zum Schutz
der Erzieher getan?»

Sie habe keine Angst, sei aber verunsichert bei dem Gedanken, was
passiere, wenn sie selbst infiziert würde, sagt die 44-Jährige. «Es
ist ein komisches, ein mulmiges Gefühl.» Zwar sei es wichtig, die
Notbetreuung aufrechtzuerhalten, aber Gedanken mache sie sich schon:
«Oder müssen wir in den sauren Apfel beißen und es zum Wohle der
Gesellschaft hinnehmen?», fragt sie mit Blick auf eine Infektion.

Während Fieber- und Schmerzmittel vielerorts gefragt sind, bleibt
Kosmetik hingegen im Regal - so etwa in einer Berliner Apotheke. Das
Geschäft kommt nach eigenen Angaben zeitweise auf ein Kundenplus von
50 Prozent. Vor allem chronisch Kranke seien gekommen, um sich
Medikamente zu besorgen. «Vielleicht will Ihr Arzt Sie erstmal nicht
mehr sehen», scherzt eine Mitarbeiterin hinter Plexiglas, als eine
Kundin feststellt, dass er ihr gleich zwölf Packungen
Schmerztabletten verschrieben hat.

«Das ist gut gemeint, aber wir können gerade nicht so viel
herausgeben», sagt Anke Rüdinger. Die Apothekerin sieht ihre Aufgabe
auch darin, Menschen zu informieren und zu beruhigen. «Wir genießen
großes Vertrauen und sind eine extreme Entlastung für das
Gesundheitssystem», betont sie. Inzwischen lasse die Kundenzahl nach.
«Wenn es so weiter gegangen wäre, wären wir auch nicht an Corona,
aber an Erschöpfung erkrankt», sagt die 54-Jährige. «Wir erleben vi
el
Dankbarkeit und Wertschätzung.» Ihr Tipp für Corona-Zeiten: «Läch
eln
stärkt das Immunsystem, wer Angst hat, schwächt es.»

Lange hat auch eine 43 Jahre alte Friseurin aus Hannover
gewissermaßen an vorderster Corona-Front gearbeitet - bis die
Geschäfte geschlossen wurden. Dass dies geschehen ist, findet sie gut
- hätte es sich aber eine Woche früher gewünscht. Sie habe Angst,
ihre Familie, ihre Eltern im schlimmsten Fall anzustecken. Denn den
Sicherheitsabstand zu Menschen einzuhalten, sei in ihrem Beruf
unmöglich: «Das ist wie mit geschlossenen Augen Haare zu schneiden.
Auf Distanz können wir nicht arbeiten.»

Auch Stadtbahnfahrer Löbl kann - naturgemäß - nicht ins Homeoffice
ausweichen - so setzt er zumindest auf Abstand. Immerhin fürchtet er
nicht um seinen Arbeitsplatz. Tatsächlich sei nach der Corona-Krise
eine personelle Durststrecke zu erwarten, erklärt Gregor. Denn:
Derzeit sei es schwierig, richtig auszubilden und Mitarbeiter
einzustellen. Löbl wiederum fragt sich, ob es nach der Krise bei dem
neuen Umgang und mehr Wertschätzung bleiben wird. Aber das «bleibt
abzuwarten».