Industrie, Handel, Politik: Lage angespannt, aber Versorgung sicher

Lkw stehen an den deutschen Grenzen im Stau, Saisonarbeiter für die
Obst- und Gemüseernte fehlen, und die weltweiten Warenströme sind
durcheinandergeraten. Trotzdem müssen Verbraucher keine Sorge um ihre
Lebensmittel haben.

Berlin (dpa) - Einzelhandel, Industrie und Politik sehen die
Versorgung mit Lebensmitteln trotz einer angespannten Lage weiter als
gesichert an. In der Corona-Krise haben Teile der Ernährungsbranche
nach den Worten von Agrarministerin Julia Klöckner mit fehlendem
Personal zu kämpfen. Die Situation sei teils «sehr angespannt», sagte

die CDU-Politikerin am Donnerstag in Berlin und nannte konkret
Schlacht- und Zerlegebetriebe sowie Molkereien. Es fehlten
Berufspendler aus Polen und Tschechien sowie Mitarbeiter, die Kinder
zu Hause betreuen müssten oder krank seien.

Klöckner bekräftigte, dass Hamsterkäufe nicht notwendig seien. Es
gebe keinen Grund, Lebensmittel zu horten, die «wenn man zu viel
gekauft hat, vom Aufbewahrungsschrank in die Tonne wandern», sagte
Klöckner. «Es wird sicherlich bei den ein oder anderen Waren mal
Engpässe geben, aber bei den Grundnahrungsmitteln sind wir wirklich
sehr gut aufgestellt.»

Auch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) versicherte in
Berlin: «Wir werden die Versorgungssicherheit von Wirtschaft und
Gesellschaft in diesen Krisenzeiten gewährleisten. Wir werden
Lieferketten aufrecht halten.» Er will zusammen mit Branchenverbänden
über einen «Gütertransportpakt» in der Corona-Krise eine stabile
Versorgung mit Waren sicherstellen. «Alle strengen sich noch ein
wenig mehr an», sagte Scheuer am Donnerstag in Berlin.

Der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL)
nannte drei Versprechen an die Verbraucher, die aus dem
«Gütertransportpakt» resultieren: Die Logistiker stellen demnach
flächendeckend und zu jeder Zeit sicher, dass Lieferketten
funktionieren. Das Ministerium stelle sicher, dass die Unternehmen
trotz Krise weiterarbeiten könnten. Und: «Beide Seiten stimmen sich
kontinuierlich ab, um immer aktuell bedarfsgerecht handeln zu
können.»

Agrarministerin Klöckner sagte mit Blick auf fehlende
Saisonarbeitskräfte, im März würden etwa 30 000 zusätzliche
Arbeitskräfte gebraucht, im Mai sogar 80 000. Die neue Plattform,
über die Arbeitssuchende und Landwirte zusammengebracht würden, sei
bereits erfolgreich.

Am Mittwoch hatte das Bundesinnenministerium ein Einreiseverbot für
Saisonarbeiter angeordnet. Der Einzelhandel warnte vor
schwerwiegenden Folgen dieser Entscheidung. Dies sei «natürlich für
die Aufrechterhaltung der Lebensmittellieferkette eine sehr große
Herausforderung», sagte ein Sprecher des Handelsverbandes HDE den
Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Gesundheit habe oberste
Priorität. Ungeachtet dessen gelte es, Lösungen zu finden, «wie die
Ernten zahlreicher Produkte ohne Saisonarbeitnehmer aus anderen
Mitgliedstaaten eingebracht werden können».

Deutschlands größter Agrarhändler Baywa sieht die
Ernährungssicherheit in Deutschland durch die Coronavirus-Krise nicht
bedroht. «Die Logistik funktioniert im Großen und Ganzen», sagte
Vorstandschef Klaus Josef Lutz am Donnerstag. «Die
Lebensmittelversorgung sehe ich als gut an.» Auch international
laufen die Warenströme nach Angaben des Managers, wenn auch etwas
verlangsamt. «Momentan sehen wir keine Unterbrechung der
Lieferketten.»

Als sehr schwierig schätzt aber auch der Baywa-Chef die diesjährige
Obst- und Gemüsesaison in Deutschland ein, nachdem entschieden wurde,
dass Saisonarbeiter nicht einreisen dürften.

Nicht nur auf dem Gemüsemarkt gibt es in der Corona-Krise
Verwerfungen: Während die Molkereien Mühe haben, die stark gestiegene
Milchnachfrage in den Supermärkten zu bedienen, stottert der Export,
das Geschäft mit der Gastronomie und gewerblichen Kunden ist
weitgehend zum Erliegen gekommen. Auf die Milchbauern kommen deswegen
sinkende Erzeugerpreise zu, obwohl die Bürger derzeit
rekordverdächtige Mengen an Milch und Milchprodukten kaufen, wie in
der Branche berichtet wird. «Wir haben eine extreme Änderung der
Warenströme innerhalb sehr kurzer Zeit», sagte Hans-Jürgen
Seufferlein, der Direktor des Verbands der Milcherzeuger Bayern.

«Die Aufträge seitens des Lebensmitteleinzelhandels (im Inland) sind
aktuell doppelt so hoch wie in einer «normalen» Woche um diese Zeit»,

sagte Oliver Bartelt, der Sprecher des Deutschen Milchkontors (DMK)
in Bremen, der größten deutschen Molkereigenossenschaft.

Doch die Gastronomie kauft deutschlandweit quasi nichts mehr, und der
Verkauf ins Ausland ist derzeit ebenfalls sehr schwierig. «Molkereien
mit starkem Exportanteil stehen an den Grenzen, und Spediteure sind
deutlich länger unterwegs», sagte Markus Drexler, der Sprecher des
Bayerischen Bauernverbands.

Die Molkereien haben zwar genug Milch, aber nicht alle können
komplett ausliefern. «Bei Verpackungen gibt's wirklich ein Problem»,
sagte Seufferlein vom Verband der bayerischen Milcherzeuger. Denn
Gastronomie-Großpackungen sind für den Einzelhandel ungeeignet.