Niedersachsen schafft Klinikkapazitäten für Welle von Corona-Kranken Von Michael Evers und Jan Petermann, dpa

Mit Hochdruck weitet Niedersachsen die Bettenkapazität für
Corona-Kranke in den Kliniken aus. Andere Kranke werden in
Reha-Kliniken verlegt und Behelfskrankenhäuser entstehen. Aber reicht
das aus, um die Masse der erwarteten Patienten zu bewältigen?

Hannover (dpa/lni) - Angesichts der bevorstehenden Welle von
Corona-Erkrankten arbeitet Niedersachsen mit Hochdruck an einer
massiven Erweiterung der Krankenhauskapazitäten. Um in den Kliniken
Platz für viele zusätzliche Corona-Patienten zu schaffen, sollen
übrige Patienten in dafür geeignete Reha-Kliniken verlegt werden, wie
Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) am Donnerstag in Hannover
ankündigte. Auf dem Messegelände soll mit Bundeswehrhilfe ein erstes
Behelfskrankenhaus für weniger schwer erkrankte Corona-Patienten
entstehen. Weitere Behelfskliniken in anderen Städten sind geplant.

Mit der Nutzung von Reha-Kliniken könnten in Niedersachsen
kurzfristig mehr als 1200 zusätzliche Betten in den Kliniken
freigemacht werden, sagte Reimann. 77 solcher Kliniken gebe es in
Niedersachsen. Ob sie geeignet seien, werde vor Ort entschieden. Ziel
sei es, dass diese Ersatzkrankenhäuser leichter erkrankte Menschen
aus anderen Krankenhäusern übernehmen, um dort Kapazitäten für die

Corona-Behandlung zu schaffen.

Andernorts könnten auch in Behelfskrankenhäusern leichter erkrankte
Covid-19-Patienten behandelt werden. In Hannover soll in den
Messehallen 19 und 20 eine solche Klinik für 500 Patienten
eingerichtet werden. Wie Bauminister Olaf Lies (SPD) erklärte, sei
das Land mit weiteren Kommunen zur Einrichtung von
Behelfskrankenhäusern im Gespräch.

Niedersachsen verfüge über rund 2400 Intensivbetten, perspektivisch
solle diese Zahl angesichts der Corona-Epidemie verdoppelt werden,
sagte Reimann. Wenn die vom Bund bestellte zusätzliche
Beatmungsapparatur eintreffe, sollten zunächst 400 zusätzliche Betten
in der Intensivmedizin mit einer Beatmungsmöglichkeit geschaffen
werden - und zwar in den sogenannten Kliniken der Maximalversorgung,
das sind große und optimal ausgestattete Krankenhäuser. Wann das
Material eintrifft, konnte die Ministerin zunächst nicht sagen.

Die Zahl der Infizierten stieg in Niedersachsen am Donnerstag auf
2726 Fälle, 413 mehr als am Vortag. 354 Betroffene müssen in Kliniken
behandelt werden, 84 davon auf der Intensivstation. 69 davon werden
künstlich beatmet. Elf Menschen sind in Niedersachsen bislang an der
Krankheit gestorben. 201 Menschen gelten inzwischen als genesen.

Das Problem zu geringer Bettenkapazitäten in vielen deutschen
Krankenhäusern muss auch aus Sicht des Robert Koch-Instituts (RKI)
dringend angegangen werden. Nur so sei es möglich, dass Kliniken bei
einer potenziellen starken Zunahme schwerer Covid-19-Verläufe nicht
an ihre Belastungsgrenzen stoßen. Bisher gab es bundesweit rund 28
000 Betten für Intensivpatienten, die Bundesregierung will diese
Menge nun deutlich aufstocken. Doch selbst bei der geplanten
Verdoppelung der Bettenzahl durch das Nothilfe-Programm könnten
zahlreiche Menschen mit schweren Lungenkomplikationen in ungünstigen
Szenarien nicht angemessen versorgt werden.

Das RKI testete jüngst verschiedene Modelle, in denen die erwarteten
notwendigen Bettenzahlen hochgerechnet werden - unter bestimmten
Start- und Randbedingungen. Die Forscher setzten den Bettenbedarf
dabei vor allem in Bezug zur Frage, wie gut es gelingt, bereits an
Covid-19 erkrankte Menschen zu isolieren, damit die Infektion nicht
noch auf weitere Personen überspringt.

Ergebnis: Der «Anteil erfolgreich isolierter Erkrankter» dürfte
tatsächlich ein entscheidender Faktor sein. Der Simulation zufolge
könnten bei 20 Prozent konsequent abgeschotteter Kranker zwischen 50
000 und 100 000 Intensivbetten auf dem Höhepunkt der Corona-Welle bei
paralleler Nutzung nötig sein. Dies gilt unter der Annahme, dass es
noch keinerlei Immunität gegen das neue Virus gibt und die Jahreszeit
keinen Einfluss auf die Verbreitung des Erregers hat.

Gelingt es dagegen, 40 Prozent der Covid-19-Kranken zu isolieren,
sinkt die notwendige Intensivbetten-Zahl schon auf deutlich unter 50
000. Bei 50-prozentiger Isolation sind es in dem Szenario noch einmal
spürbar weniger. Bei Annahme stärkerer Jahreszeiten-Effekte
(Saisonalität) sinken die erforderlichen Anzahlen an Intensivbetten
zusätzlich. Ähnliche Trends gibt es dabei auch für die Menge der
nötigen Krankenhausbetten insgesamt.

Das Modell zeigt, dass das Befolgen sozialer Distanzierung eine
wesentliche Bedingung dafür sein dürfte, die Intensivmedizin in der
Corona-Krise nicht zu überfordern. Denn die Resultate gelten nur,
wenn gleichzeitig deutlich mehr als die Hälfte der infizierten
Kontaktpersonen der Kranken (60 Prozent) in Quarantäne sind. Laut RKI
zeigt die Gesamtanalyse damit, «dass durch intensivere Maßnahmen zur
Isolation von Erkrankten und Quarantäne enger Kontaktpersonen nach
und nach die Anzahl der parallel benötigten Krankenhaus- und
Intensivbetten deutlich reduziert werden kann».