Spahn sieht «Ruhe vor dem Sturm» - Debatte über Ende der Auflagen

Der Bevölkerung wird viel zugemutet, um das Coronavirus in Schach zu
halten. Die allermeisten finden die weitreichenden Kontaktsperren
sinnvoll. Gesundheitsminister Spahn schwört auf weitere Anstrengungen
ein.

Berlin (dpa) - Im Kampf gegen das Coronavirus geht
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) von weiter steigenden
Belastungen für Ärzte und Pfleger aus. «Noch ist das die Ruhe vor dem

Sturm», sagte Spahn am Donnerstag in Berlin. «Keiner kann genau
sagen, was in den nächsten Wochen kommt.» Daher sei es weiterhin
nötig, die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Neue
Maßnahmen gibt es vorerst nicht - stattdessen laufen in der Regierung
erste Planungen für die Zeit nach dem weitgehenden Stillstand des
öffentlichen Lebens. Trotzdem wird davor gewarnt, verfrüht eine
Lockerung der Kontaktsperren zu fordern.

Wann Deutschland schrittweise zum normalen Alltag zurückkehren könne,
könne derzeit niemand seriös sagen, sagte Landwirtschaftsministerin
Julia Klöckner. «Das ist keine Frage des Zeitpunkts, sondern eine
Frage von Fakten. Das ist auch keine Frage des Gefühls, wann es
irgendwann genug ist.» Vor allem in der Wirtschaft waren zuletzt
Stimmen laut geworden, die Auszeit dürfe nicht mehr allzu lange
anhalten. Die Bundesregierung müsse eine Strategie für ein schnelles
Durchstarten der Unternehmen nach der Corona-Krise entwickeln.

Zum jetzigen Zeitpunkt könne man nicht sicher sagen, ob sich die
Infektionsdynamik abgeschwächt habe oder nicht, erläuterte der
Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler. «Manche Städte
und Landkreise haben es geschafft, größere Ausbruchsgeschehen auch
unter Kontrolle zu bekommen.» Diese Ausbrüche seien teilweise in
Zusammenhang mit Festen oder Reisen aufgetreten. «Warum immer noch
Feste gefeiert werden, ist mir unverständlich», betonte der
Wissenschaftler.

Auch Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig
(SPD) sieht keinen Grund, schon jetzt über Lockerungen der
Kontaktsperren zu diskutieren. «Ich will ganz klar sagen, dass wir
nach Rücksprache mit Medizinern keine Entwarnung geben können, und
dass ich auch jegliche Debatte über Lockerungen von Maßnahmen zum
jetzigen Zeitpunkt absolut als zu früh empfinde», sagte sie in
Schwerin.

Schwesig reagierte damit auch auf Äußerungen von Kanzleramtschef
Helge Braun (CDU), der in der Social-Media-App Jodel angekündigt
hatte, dass die strengen Kontaktbeschränkungen später einmal zunächst

für junge und gesunde Menschen wieder gelockert werden könnten.
Abhängig sei dies jedoch von der Infektionskurve, hatte Braun betont.

Vorerst rechnen fast zwei Drittel der Deutschen sogar mit weiteren
Einschränkungen der persönlichen Freiheit. In einer Umfrage des
Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen
Presse-Agentur äußerten 64 Prozent die Erwartung, dass die Maßnahmen

zur Vermeidung zwischenmenschlicher Kontakte noch einmal verschärft
werden. Nur 20 Prozent glauben nicht daran. Die Akzeptanz der
Maßnahmen ist der Umfrage zufolge riesig.

Das Corona-Krisenkabinett der Bundesregierung verständigte sich
zunächst nicht auf weitere Maßnahmen wie etwa eine generelle
Verpflichtung zur häuslichen Quarantäne nach Einreise aus einem
Nicht-EU-Staat. Wie die Deutsche Presse-Agentur aus Regierungskreisen
erfuhr, stieß ein entsprechender Vorschlag aus dem Innenministerium
auf wenig Resonanz und wurde deshalb nicht auf die Tagesordnung des
Kabinetts gesetzt.

Spahn berichtete, die Bundesregierung arbeite an Konzepten für «eine
Zeit nach Corona», in der man weiter gegen das Virus kämpfe, das
öffentliche Leben aber schrittweise normalisiere. Dies solle auch bei
Beratungen nach Ostern zwischen der Bundesregierung und den
Ministerpräsidenten Thema sein. Dabei solle auch darüber diskutiert
werden, wie Handydaten im Krisenfall für die Klärung von
Infektionsketten zu nutzen seien, machte Spahn deutlich. Die FDP
warnte vor einem Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung.

Bund und Länder hatten sich am Sonntag auf einen Neun-Punkte-Plan
verständigt, der zwischenmenschliche Kontakte minimieren soll, um die
Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus zu vermindern. Für zunächst
zwei Wochen sind öffentliche Ansammlungen von mehr als zwei Personen
weitgehend verboten. Wie die Vereinbarung konkret umgesetzt wird, ist
Sache der einzelnen Bundesländer.

In der YouGov-Umfrage gaben 83 Prozent der Befragten an, dass sie
sich vollständig an die beschlossenen Regeln halten, 12 Prozent zum
Teil. Nur 2 Prozent sagten, dass sie die neuen Regeln gar nicht
befolgen. Je älter die Befragten sind, desto eher halten sie sich
nach eigenen Angaben an die Kontaktsperre.

Der Gesundheitsminister bekräftigte, dass Deutschland Krankenhäuser
und Ärzte wegen sehr vieler Tests früh auf das Virus habe vorbereiten
können. Die Kapazität liege mit 300 000 bis 500 000 Tests pro Woche
im internationalen Vergleich sehr hoch.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) warb um Verständnis
dafür, dass Coronavirus-Tests nur bei Menschen mit
Krankheitssymptomen vorgenommen werden. Man habe zwar große
Kapazitäten, sie reichten aber nicht, «um 83 Millionen einfach mal
eben durchzutesten», sagte der Bundesvorsitzende Andreas Gassen. Pro
Woche könnten bei den Ärzten mehr als 250 000 Verdachtsfälle getestet

werden, das lasse sich voraussichtlich noch bis auf 360 000 steigern.
Daneben gibt es auch Tests etwa von Kliniken.

Spahn räumte ein, die Beschaffung von Schutzausrüstung sei nicht
leicht. «Es sind in den letzten Tagen täglich Masken ausgeliefert
worden», betonte er.