EU-Videogipfel: Merkel und Co stimmen sich in Corona-Krise ab

In seltener Offenheit prangert EU-Kommissionschefin von der Leyen den
nationalen Egoismus der EU-Staaten in der Corona-Krise an. Jetzt
besser machen - fordert von der Leyen vor dem EU-Videogipfel.

Brüssel (dpa) - Nach den umstrittenen Alleingängen etlicher
EU-Staaten in der Corona-Krise haben Bundeskanzlerin Angela Merkel
und ihre Kollegen am Donnerstag den Schulterschluss versucht. Die 27
Staats- und Regierungschefs berieten am Nachmittag bei einem
Videogipfel unter anderem über mögliche gemeinsame Krisenhilfen über

den Eurorettungsschirm ESM. Zuvor hatte EU-Kommissionschefin Ursula
von der Leyen herbe Kritik an einseitigen Exportverboten,
Grenzkontrollen und Störungen des Binnenmarkts in Europa geübt.

«Als Europa wirklich füreinander da sein musste, haben zu viele
zunächst nur an sich selbst gedacht», sagte von der Leyen in einer
Sondersitzung des Europaparlaments. «Und als Europa wirklich beweisen
musste, dass wir keine «Schönwetterunion» sind, weigerten sich zu
viele zunächst, ihren Schirm zu teilen.»

Inzwischen habe sich der Trend umgekehrt und die Staaten hätten
begonnen, einander zu helfen. «Europa ist wieder da», sagte von der
Leyen. Jetzt komme es auf das weitere gemeinsame Handeln an. «Die
Geschichte schaut auf uns», sagte sie. «Lassen Sie uns gemeinsam das
Richtige tun, mit einem großen Herzen, nicht mit 27 kleinen.»

Bei dem Videogipfel berieten Merkel und ihre Kollegen unter anderem
zusätzliche Hilfen gegen den Konjunktureinbruch im Zusammenhang mit
der Pandemie. Zur Debatte stehen vorsorgliche Kreditlinien des
Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM, der noch rund 410 Milliarden
Euro für Darlehen frei hat.

Der angedachte Plan läuft unter dem Stichwort
«Pandemie-Krisen-Unterstützung» und wäre eine Art Rettungsschirm f
ür
EU-Staaten, die Schwierigkeiten am Kapitalmarkt bekommen könnten.
Nach dem jüngsten Entwurf der gemeinsamen Erklärung zum Videogipfel
sollte die Eurogruppe beauftragt werden, unverzüglich die technischen
Details dazu auszuarbeiten.

Keine Chance hat derzeit nach Angaben von Diplomaten die gemeinsame
Aufnahme von Schulden, über sogenannte Euro- oder Corona-Bonds. Im
Entwurf der Gipfelerklärung war jedoch vage die Rede davon, dass
angesichts der beispiellosen Krise weitere gemeinsame Schritte
unternommen werden könnten, wenn sie nötig würden.

Am Mittwoch hatten neun EU-Länder unter Führung Frankreichs in einem
Brief an EU-Ratschef Charles Michel als solidarische Maßnahme gegen
die Wirtschaftskrise auch die Aufnahme gemeinsamer Schulden
gefordert. Auch die Grünen sprachen sich am Donnerstag für
Corona-Bonds aus. Deutschland und andere Länder sind aber strikt
dagegen.

Nach dem Entwurf der Gipfelerklärung wollen die EU-Staaten die
Probleme für den Warenverkehr an den teils geschlossenen Grenzen
beheben, gemeinsame Beschaffung von Schutzausrüstung vorantreiben und
Forschung an Mitteln gegen Covid-19 verstärkt fördern.

Der Entwurf hielt zudem fest, dass der vorige Woche zunächst für 30
Tage verhängte Einreisestopp für Nicht-EU-Bürger verlängert werden

kann. Das werde zu gegebener Zeit entschieden, heißt es. Zugleich
wollten die Staats- und Regierungschefs die Kommission bitten, mit
der Arbeit an einer Exit-Strategie zur Normalisierung der Situation
zu beginnen. Nötig würden ein koordiniertes Vorgehen, ein umfassender
Plan zur Erholung der Wirtschaft und beispiellose Investitionen.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) forderte die Staats-
und Regierungschefs auf zu beweisen, dass Europa handlungsfähig sei.
Konkret forderte der BDI, den Weg für die Kredite des ESM und der
Europäischen Investitionsbank EIB schnellstmöglich freizumachen. Die
EIB hatte vorgeschlagen, weitere Kredite im Umfang von 40 Milliarden
Euro zur Verfügung zu stellen.

Bei der Sitzung des Europaparlaments in Brüssel waren fast keine
Abgeordneten, die meisten der 705 Mandatsträger verfolgten die
Beratung online und konnten per Email abstimmen. Von der Leyen hielt
ihre Rede vor nahezu leeren Rängen. In der Debatte vor Ort verlangten
Christdemokraten, Sozialdemokraten, Grüne und Linke ebenfalls mehr
Solidarität in Europa. Die parlamentarische Rechte warnte davor,
Brüssel in der Krise mehr Macht zu übertragen.