Spahn sieht «Ruhe vor dem Sturm» - viel Rückhalt für Corona-Auflage n

Der Bevölkerung wird im Vorgehen gegen die Verbreitung des
Coronavirus viel zugemutet. Letzte Verschärfung ist eine
weitreichende Kontaktsperre. Die allermeisten finden das sinnvoll.
Gesundheitsminister Spahn schwört auf weitere Anstrengungen ein.

Berlin (dpa) - Im Kampf gegen das Coronavirus geht
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) von weiter steigenden
Belastungen für Ärzte und Pfleger aus. «Noch ist das die Ruhe vor dem

Sturm», sagte Spahn am Donnerstag in Berlin. «Keiner kann genau
sagen, was in den nächsten Wochen kommt.» Daher sei es weiterhin
nötig, die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen und die
Kapazitäten in den Kliniken auch mit Intensivbetten zu erhöhen.
Gleichzeitig laufen in der Regierung schon erste Planungen für die
Zeit nach dem weitgehenden Stillstand des öffentlichen Lebens.

Vorerst rechnen fast zwei Drittel der Deutschen jedoch mit weiteren
Einschränkungen der persönlichen Freiheit. In einer Umfrage des
Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen
Presse-Agentur äußerten 64 Prozent die Erwartung, dass die
beschlossenen Maßnahmen zur Vermeidung zwischenmenschlicher Kontakte
noch einmal verschärft werden. Nur 20 Prozent glauben nicht daran, 16
Prozent machten keine Angaben. Die Akzeptanz der Maßnahmen ist der
Umfrage zufolge riesig.

«Zum jetzigen Zeitpunkt kann noch keine gesicherte Aussage gemacht
werden, ob sich die Infektionsdynamik abgeschwächt hat», sagte der
Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler. «Manche Städte
und Landkreise haben es geschafft, größere Ausbruchsgeschehen auch
unter Kontrolle zu bekommen.» Diese Ausbrüche seien teilweise in
Zusammenhang mit Festen oder Reisen aufgetreten. «Warum immer noch
Feste gefeiert werden, ist mir unverständlich», sagte Wieler.

Spahn bekräftigte, dass Deutschland wegen sehr vieler Tests früh mit
Vorbereitungen im Medizinbereich beginnen konnte. Die Kapazität liege
mit 300 000 bis 500 000 Tests pro Woche auch im internationalen
Vergleich sehr hoch. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) warb
um Verständnis dafür, dass Coronavirus-Tests nur bei Menschen mit
Krankheitssymptomen vorgenommen werden. Man habe zwar große
Kapazitäten, sie reichten aber nicht, «um 83 Millionen einfach mal
eben durchzutesten», sagte der KBV-Bundesvorsitzende Andreas Gassen.

«Wir wollen viel testen, aber wir wollen zielgerichteter testen»,
erläuterte Gesundheitsminister Spahn. Laut Gassen beträgt die
Testkapazität nur im kassenärztlichen Bereich mehr als 250 000 pro
Woche. Das lasse sich voraussichtlich bis auf 360 000 steigern.
Daneben gibt es auch Test etwa von Kliniken.

Spahn räumte ein, die Beschaffung von Schutzausrüstung sei nicht
leicht. «Es sind in den letzten Tagen täglich Masken ausgeliefert
worden», betonte er.

Es gehe für die Politik zugleich um Konzepte dafür, dass es «eine
Zeit nach Corona» geben werde, in der man weiter gegen das Virus
kämpfe, das öffentliche Leben aber schrittweise normalisiere, sagte
Spahn. Dies solle auch bei Beratungen nach Ostern zwischen der
Bundesregierung und den Ministerpräsidenten Thema sein. Dabei solle
darüber diskutiert werden, wie Handydaten im Krisenfall für die
Klärung von Infektionsketten zu nutzen seien, machte Spahn deutlich.
Auch die Frage wie man dann «besonders gefährdete Gruppen schützen»

könne, werde diskutiert.

Die Verbreitung des Virus ist nach wie vor in verschiedenen Regionen
Deutschlands sehr unterschiedlich. Laut Robert-Koch-Institut lag die
Zahl der Infizierten pro 100 000 Einwohnern zuletzt beispielsweise
bei 69 in Hamburg, 61 in Bayern und 15 Fällen in
Mecklenburg-Vorpommern. «Wir können dann nach Ostern möglicherweise
über eine Veränderung reden, wenn wir bis Ostern alle miteinander
konsequent sind», sagte Spahn.

In der Corona-Krise war zuletzt der Ruf nach einer «Exit-Strategie»
lauter geworden. Der Präsident des Bundesverbands mittelständische
Wirtschaft, Mario Ohoven, hatte die Bundesregierung dazu aufgerufen,
zeitnah eine solche Strategie für ein schnelles Durchstarten der
Unternehmen nach der Corona-Krise zu entwickeln. Unionsfraktionsvize
Carsten Linnemann (CDU) hatte ein Ende der wirtschaftlichen Auszeit
nach Ostern gefordert.

Mit den bisher beschlossenen Maßnahmen sind 88 Prozent der Befragten
der YouGov-Umfrage einverstanden. Jeder Dritte (32 Prozent) wünscht
sich sogar noch härtere Einschränkungen. Nur acht Prozent der
Deutschen halten die Maßnahmen für überzogen.

Bund und Länder hatten sich am Sonntag auf einen Neun-Punkte-Plan
verständigt, der zwischenmenschliche Kontakte minimieren soll, um die
Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus zu vermindern. Für zunächst
zwei Wochen sind öffentliche Ansammlungen von mehr als zwei Personen
weitgehend verboten. Wie die Vereinbarung konkret umgesetzt wird, ist
Sache der einzelnen Bundesländer.

83 Prozent sagen, dass sie sich vollständig an die beschlossenen
Regeln halten, 12 Prozent zum Teil. Nur zwei Prozent geben an, dass
sie die neuen Regeln gar nicht befolgen. Je älter die Befragten sind,
desto eher halten sie sich nach eigenen Angaben an die Kontaktsperre.

Das Corona-Krisenkabinett der Bundesregierung verständigte sich am
Donnerstag nicht auf eine bundeseinheitliche Verpflichtung zur
häuslichen Quarantäne nach Einreise aus einem Nicht-EU-Staat. Wie die
Deutsche Presse-Agentur aus Regierungskreisen erfuhr, stieß ein
entsprechender Vorschlag aus dem Innenministerium auf wenig Resonanz
und wurde deshalb nicht auf die Tagesordnung gesetzt.