Die abenteuerlichsten Reisen finden im Kopf statt Von Stephan Maurer, dpa

Grenzen werden in Corona-Zeiten geschlossen, doch im Kopf kann man
überall hin reisen. Bücher helfen dabei.

Berlin (dpa) - Mit dem Reisen ist es zunächst einmal vorbei in der
Corona-Krise. Und doch kann man verreisen: In und mit der Literatur.
Reise-Bücher führen nach Rom, auf abgelegene Inseln - und um die
ganze Welt. Eine Auswahl.

- Jules Verne: Reise um die Erde in 80 Tagen

Das ultimative Reiseziel? Natürlich die ganze Welt! Der Engländer
Phileas Fogg wettet um sein Vermögen, dass er in 80 Tagen einmal um
die Erde reisen wird. Mit der Eisenbahn, auf dem Rücken von
Elefanten, im Segelschiff und auf Schlitten: Foggg und sein Diener
Passepartout lassen nichts aus, verfolgt werden sie vom Detektiv
Mister Fix, der Fogg für einen Bankräuber hält. Über Indien geht es

nach Hongkong, Yokohama, San Francisco und New York. Schließlich
erreichen Fogg und Passepartout wieder London - fünf Minuten zu spät.
Die Wette scheint verloren, doch am Ende triumphieren sie. Der
Franzose Jules Verne (1828-1905), einer der Begründer der modernen
Science-Fiction-Literatur, veröffentlichte «Reise um die Erde in 80
Tagen» im Jahr 1873. Als Theaterstück und Musical kam der Klassiker
auf die Bühne. Die Verfilmung von 1956 mit David Niven (deutscher
Titel: «In 80 Tagen um die Welt») gewann fünf Oscars, darunter als
bester Film. 1989 folgte eine Verfilmung als Miniserie mit Pierce
Brosnan.

- Johann Gottfried Seume: Spaziergang nach Syrakus

Im Winter 1801 brach Johann Gottfried Seume (1763-1810) von Grimma
bei Leipzig zu Fuß auf und wanderte bis nach Syrakus auf Sizilien, wo
er am 1. April 1802 ankam. Auch lief er zurück, wobei er noch einen
Abstecher nach Paris machte. Wieder zuhause, beschrieb er seinen
«Spaziergang nach Syrakus». Das Werk, eine Mischung aus Reisebericht
und Reportage, machte Seume zu einem der ersten Reiseschriftsteller.
Als Reiseführer taugt das Buch allerdings nicht, denn vom Sightseeing
hielt der Autor nichts: «Übrigens bin ich nicht nach Italien
gegangen, um vorzüglich Kabinette und Galerien zu sehen», schreibt
er. Seine Reiseerzählung ist subjektiv, politisch und nah am Alltag,
er berichtet aus den Wirtshäusern, von Wegelagern, von den Sitten und
Gebräuchen, Bekanntschaften und Gesprächen unterwegs. Schließlich
angekommen in Syrakus, sagt er lapidar: «Dies ist also das Ziel
meines Spazierganges, und nun gehe ich mit einigen kleinen
Umschweifen wieder nach Hause.»

- Johann Wolfgang von Goethe: Italienische Reise

«Auch ich in Arkadien!» - so überschrieb Johann Wolfgang von Goethe
(1749-1832) seine «Italienische Reise». Zwischen 1786 und 1788 reiste
der Weimarer Minister nach Italien; das berühmte Gemälde «Goethe in
der Campagna» von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein zeugt davon. Im
Gegensatz zu Seume ging Goethe nicht zu Fuß, sondern reiste mit der
Postkutsche - inkognito als Pittore (Maler) Filippo Miller. In
«Italienische Reise» berichtet der Dichter von seinen Eindrücken, das

Werk erschien allerdings viel später. Rom, Neapel und Sizilien widmet
Goethe den größten Teil seiner Aufzeichnungen. Sein Interesse gilt
weniger der italienischen Gegenwart als vielmehr der Antike, den
Museen, der Malerei. Er versucht sich auch selbst im Zeichnen,
erkennt aber, wie er im Februar 1788 in Rom schreibt, «daß ich
eigentlich zur Dichtkunst geboren bin». Ein Reiseführer ist Goethes
«Italienische Reise» nicht, vielmehr Teil seiner Autobiografie: «Ihr

Thema ist Goethe - Goethe freilich in der Phase seiner für seine
Zukunft entscheidenden Begegnung mit dem Süden», wie der
Kunsthistoriker Herbert von Einem kommentierte.

- Antal Szerb: Reise im Mondlicht

Antal Szerb (1901-1945) zählt zu den großen ungarischen Autoren. 1937
erschien sein bedeutendster Roman: «Reise im Mondlicht». Das
frischvermählte Paar Erzsi und Mihály ist auf Hochzeitsreise in
Italien. Bald beschleichen Mihály Gedanken an ein Ende der Beziehung.
Auf einem kleinen Bahnhof bleibt seine Frau versehentlich zurück, und
er beginnt eine eigene Reise, die ihn in ein umbrisches Kloster und
schließlich nach Rom führt. Er wandert durch die Ewige Stadt, auf den
Spuren der verlorenen Jugend und einer vergangenen Liebe - es ist
eine Reise zu sich selbst. «Antal Szerb führt uns in eine andere,
eine alte Welt - nicht mit seinem Thema oder mit der Handlung,
sondern mit seiner Sprache, seiner Denkweise, seinen Ansichten ...»,
schrieb sein Landmann, der Schriftsteller Péter Esterházy, über
«Reise im Mondlicht». Szerb wurde 1945 im Lager Balf in Westungarn
ermordet.

- Jaroslav Rudis: Winterbergs letzte Reise

Altenpfleger Jan Kraus begleitet Schwerkranke am Ende ihres Lebens.
So gerät er an den hochbetagten Wenzel Winterberg, und der hat noch
etwas vor: Er will eine letzte Reise antreten, auf der Suche nach
einer verlorenen Liebe. Mit der Eisenbahn reist das seltsame Duo von
Berlin über Reichenberg (Liberec), Prag, Wien und Budapest bis nach
Sarajevo. Ihr Reiseführer ist der Baedeker von 1913 für
Österreich-Ungarn, aus dem Winterberg ausgiebig vorliest. Jaroslav
Rudis (geboren 1972) gehört zu den interessantesten tschechischen
Autoren der Gegenwart. «Winterbergs letzte Reise» ist sein erster
Roman, den er auf Deutsch verfasste. Er ist zugleich eine Reise durch
die Geschichte Mitteleuropas, von der Schlacht von Königgrätz 1866,
in der Preußen Österreich besiegte, über das Attentat von Sarajevo
1914, das den Ersten Weltkrieg auslöste, bis zum russischen Einmarsch
in die Tschechoslowakei 1968.

- Jack Kerouac: On The Road

Sex, Drogen, Bebop: Jack Kerouac (1922-1969) wurde mit «On The Road»
(1957; dt.: «Unterwegs») zu einem der wichtigsten Vertreter der Beat
Generation. Dean Moriarty und der Erzähler Sal Paradise reisen kreuz
und quer über den nordamerikanischen Kontinent, immer auf der Suche
nach Party, Freiheit und Glück. Sie trampen, fahren auf Güterzügen
und in Lastwagen mit und brausen mit dem Auto über den Highway.
Kerouac fing das Lebensgefühl einer Subkultur ein, die aus der
Perspektive von Außenseitern auf die amerikanische Gesellschaft sah.
Er schrieb den Roman 1951 innerhalb von drei Wochen auf einer 40
Meter langen Rolle Endlospapier - ein halbes Jahrhundert später wurde
diese Rolle für fast 2,5 Millionen Dollar versteigert. «On The Road»

hat autobiografische Züge, so entspricht Moriarty seinem Freund Neal
Cassady, andere Figuren lassen sich als die Schriftsteller Allen
Ginsberg und William S. Burroughs identifizieren, Erzähler Sal
Paradise ist Kerouac selbst. Der Roman hat die amerikanische
Literatur nachhaltig beeinflusst.

- Judith Schalansky: Atlas der abgelegenen Inseln

Wer ganz weit weg will von allem, für den könnte der «Atlas der
abgelegenen Inseln» von Judith Schalansky das Richtige sein. Die
vielfach preisgekrönte Autorin (Jahrgang 1980) hat fünfzig entlegene
Inseln gesammelt, weit entfernt von Menschen, Flughäfen und
Reisekatalogen. Zu jeder Insel gibt es eine Prosa-Miniatur. Der
«Atlas der abgelegenen Inseln» wurde von der Stiftung Buchkunst 2009
zum «Schönsten deutschen Buch» gekürt. Der Verlag mare sagt zu dem

Atlas: «Damit entführt uns Judith Schalansky zu fünfzig entlegenen
Orten - von Tristan da Cunha bis zum Clipperton-Atoll, von der
Weihnachts- bis zur Osterinsel - und beweist, dass die
abenteuerlichsten Reisen immer noch im Kopf stattfinden: mit dem
Finger auf der Landkarte.»