Weniger Einbrüche, mehr Trickbetrug? - Kriminalität in Corona-Zeiten Von Andreas Rabenstein und Irena Güttel, dpa

Die Corona-Pandemie verändert das Land - und auch die Kriminalität.
Betrüger versuchen, Profit aus der Ausnahmesituation zu schlagen. Und
zu Hause gibt es mehr Konfliktpotenzial.

Berlin/Nürnberg (dpa) - Die Innenstädte wirken wie leer gefegt.
Geschäfte und Lokale haben geschlossen. Die Menschen sind wegen der
Corona-Pandemie viel zu Hause. Es sind besondere Zeiten - auch für
Verbrecher. Wie sich die Ausgangsbeschränkungen auf die Kriminalität
in Deutschland auswirken könnten...

EINBRÜCHE und DIEBSTÄHLE:

Langfinger haben es angesichts geschlossener Geschäfte und leerer
Bahnen und Busse in den Großstädten schwer. «Der Ladendiebstahl hat
natürlich stark abgenommen», sagte Kriminaloberrätin Elke Schönwald

vom Polizeipräsidium Mittelfranken in Nürnberg. Auch organisierte
Autodiebe dürften unter den geschlossenen deutschen Grenzen leiden.
Genauso schlecht sieht es möglicherweise für Fahrraddiebe aus, die an
den S-Bahnstationen rund um die Großstädte, vor Büros und Kneipen
weniger begehrte Objekte finden. So registrierte die Berliner Polizei
eigenen Angaben nach vom 1. bis 24. März einen Rückgang bei den
angezeigten Diebstählen um 7,5 Prozent. Bei den Fahrraddiebstählen
waren es sogar 28 Prozent. Die Ermittler betonten aber, dass die
Zahlen wegen des kurzen Zeitraums wenig belastbar und aussagekräftig
seien.

Auch die Zahl der Wohnungseinbrüche könnte zurückgehen, weil viele
Menschen zurzeit zu Hause arbeiten. Bei den Geschäftseinbrüchen
verzeichnete die Berliner Polizei zum Beispiel 23 Prozent weniger als
sonst. Ob Einbrecher jetzt verstärkt in die verwaisten Schulen,
Kindergärten und Freizeiteinrichtungen einsteigen, lässt sich schwer
abschätzen. Oft erstatten die Betroffenen erst einige Zeit später
Anzeige, so dass der Polizei aktuell nicht alle Fälle vorliegen.
Straftaten erfasst diese auch erst statistisch, wenn die Ermittlungen
abgeschlossen sind. Bisher lasse sich jedenfalls nicht feststellen,
dass sich die Straftaten wegen der Corona-Krise auf bestimmte
Schwerpunkte verlagerten, sagte Schönwald.

GEWALTDELIKTE IN DER ÖFFENTLICHKEIT:

Schlägereien betrunkener Menschen in Kneipen oder nach Fußballspielen
gibt es derzeit nicht. Zurückgehen dürfte auch die Zahl der
Raubüberfälle, weil sich nachts kaum noch Opfer auf den Straßen
befinden. Und die Konfrontationen zwischen gewalttätigen
Demonstranten und der Polizei fallen ebenfalls aus. Eindeutig
bemerkbar machen sich die leeren Straßen. «Aufgrund der starken
Abnahme des Straßenverkehrs sind auch die Verkehrsdelikte deutlich
rückläufig», sagte Schönwald.

DROGENHANDEL:

Rauschgifthändler, die ihr Geschäft in der Öffentlichkeit betreiben,

finden weniger Kunden und standen zuletzt gelangweilt an den
bekannten Ecken in Berlin-Kreuzberg herum. Parks und Clubs sind
nachts leer oder geschlossen. Touristen und Partybesucher, zwei große
Käufergruppen an Wochenenden in Berlin, sind derzeit nicht zu sehen.
Kunden, die Marihuana, Koks oder Crystal Meth dagegen von persönlich
bekannten Dealern kaufen, werden wohl eher nicht auf den Einkauf
verzichten. Solche Geschäfte lassen sich auch derzeit diskret
abwickeln.

TRICKBETRUG:

Betrüger, die sich als Polizisten, Feuerwehrleute, Mitarbeiter von
Gesundheitsämtern oder Hilfsdiensten ausgeben, tauchen zurzeit in
vielen Orten auf. Die vermeintlichen Helfer wollen sich Zutritt zu
Wohnungen verschaffen, um an Geld und Wertgegenstände zu kommen. Auch
das Landeskriminalamt (LKA) in Stuttgart warnt vor einer neuen
Variante des sogenannten Enkeltricks: Anrufer geben sich als
Verwandte aus, die mit dem Coronavirus infiziert seien und Geld für
die Behandlung bräuchten. «Das ist eine besonders abstoßende und
niederträchtige Vorgehensweise skrupelloser Krimineller», sagt
LKA-Präsident Ralf Michelfelder.

Auch im Internet machen sich Abzocker die Corona-Krise zunutze. Sie
geben vor, rare Schutzmasken oder Desinfektionsmittel zu vertreiben,
liefern diese aber nicht nach Erhalt des Geldes. Andere
Internetverkäufer verlangen horrende Preise - zum Teil auch für
Klopapier. Die Online-Plattform Ebay hat den Verkauf von
Atemschutzmasken und Desinfektionsmitteln deshalb inzwischen auf
ihrer US-Website verboten.

GEWALT GEGEN FRAUEN UND KINDER:

Die Ausnahmesituation stellt viele Familien und Paare vor große
Herausforderungen: Man hockt viel mehr aufeinander und kann sich nur
schwer aus dem Weg gehen. Dazu kommen finanzielle Nöte und
Existenzsorgen. «Die Situation kann zu erhöhtem Stress führen», sag
te
die Psychologin Anja Stiller vom Kriminologischen Forschungsinstitut
Niedersachsen. «Wenn in Familien schon latent Konflikte da waren,
können diese eskalieren.»

Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) rechnet deshalb mit mehr
Gewalt in Familien und Beziehungen. «Wir stellen uns in dieser Zeit
darauf ein, dass Straftaten der häuslichen Gewalt deutlich zunehmen
werden», sagte Behrendt der Deutschen Presse-Agentur.

Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) befürchtet diese Tendenz.
Kriminalität, die in der Öffentlichkeit geschehe, gehe derzeit sicher
zurück, sagte der Vize-Vorsitzende Jörg Radek. «Aber wir müssen
natürlich darauf achten, dass Kriminalität auch hinter verschlossenen
Türen stattfinden kann, etwa bei der häuslichen Gewalt. Da mache ich
mir mehr Sorgen, dass diese Dinge einen Zuwachs erfahren können.» In
einem Interview von «Zeit Online» hatte Behrendt zuvor gesagt, erste
Zahlen aus Italien und China würden zu diesem Schluss führen.

Die jüngsten Zahlen aus Berlin unterstreichen diese Annahme: Vom 1.
bis 24. März stiegen die Gewalttaten in Familien, oft von Männern
gegen Frauen und Kinder gerichtet, um knapp 11 Prozent.