Gottesdienstverbote verstören konservative Christen Von Carsten Hoefer, dpa

Solche staatliche Gottesdienstverbote wie jetzt in der Corona-Krise
gab es in der Geschichte des christlichen Abendlands noch nie.
Kirchenobere nehmen das hin. Konservative Gläubige und Geistliche
sind verstört. Und empört.

München (dpa) - Für die Kirchen hat die Corona-Krise paradoxe Folgen:
Erstmals in der Geschichte des christlichen Abendlands gibt es
weitreichende Gottesdienstverbote in mehreren europäischen Ländern.
Das ist eine historische Abkehr von der Tradition. Gleichzeitig
steigt - wie oft in Krisenzeiten - das Interesse an Religion.

«Das haben wir in der Geschichte der Kirche so noch nie erlebt, dass
alle Gottesdienste abgesagt wurden - und das auch noch in der
Passions- und Osterzeit», sagt Heinrich Bedford-Strohm, der
Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Viel
Zuspruch haben dafür die Kirchenprogramme im öffentlich-rechtlichen
Radio und Fernsehen. «Die Zahlen bei Gottesdiensten und dem «Wort zum
Sonntag» haben sich im Durchschnitt um 70 Prozent erhöht.»

In Mittelalter und früher Neuzeit kamen todbringende Seuchen nahezu
regelmäßig vor. Die erste große Pestepidemie - der «Schwarze Tod»

1348/49 - löschte mancherorts große Teile der Bevölkerung aus. Doch
war es selbstverständlich, dass sich Christen gerade in
Epidemiezeiten versammelten. Um göttliche Hilfe zu erbitten, um Sühne
zu leisten und auch um Trost zu suchen.

«In vormodernen Gesellschaften haben religiöse Traditionen die
gesamte Kultur überwölbt», sagt Religionssoziologe Detlef Pollack von

der Universität Münster. «Immer spielte die Religion die alles
entscheidende Rolle.» Heute gälten verschiedene Logiken. «Etwa eine
Logik der Religion, eine Logik des Rechts, eine Logik der Wirtschaft,
eine Logik des Gesundheitswesens - und dabei kommt es zu Konflikten
und Inkompatibilitäten.»

Das ist in der Corona-Krise sichtbar. «Medizinische Notwendigkeiten
können in Widerspruch zu dem menschlichen Bedürfnis nach Trost und
Zuspruch treten, wie es in der Religion seinen Ausdruck findet», sagt
Pollack.

Gerade die Krankenfürsorge ist seit jeher Bestandteil kirchlichen
Lebens. Ein Beispiel: die «Leprosenhäuser» des Mittelalters, wo
Leprakranke von der Gesellschaft separiert wurden. «Diese Häuser
hatten aber stets eine eigene Kapelle, einen eigenen
Gottesdienstraum, wo das private Gebet möglich war und von einem
besonders dazu bestellten Kaplan die Heilige Messe gefeiert wurde»,
sagt der Würzburger Kirchenhistoriker Dominik Burkard. Zur Abwehr der
Pestgefahr wurden mitunter besondere Formen des Betens entwickelt wie
das «Sechsstundengebet», eine Art Volksandacht.

Gottesdienste fielen manchmal aus, wenn die Priester selbst einer
Epidemie zum Opfer fielen. Doch Verbote wären allein deshalb schwer
vorstellbar gewesen, weil Europas Herrscherhäuser sich zur
Legitimation ihrer Herrschaft auf Gott beriefen. So war der
protestantische Kaiser Wilhelm II. Oberhaupt der preußischen
Landeskirche. In Bayern regierten die katholischen Wittelsbacher bis
1918 noch «von Gottes Gnaden».

Nach traditionellem katholischen Verständnis fehlte einem Herrscher
ohne kirchlichen Segen jegliche Legitimation. Dementsprechend war
staatliche Hoheit über Kirchenangelegenheiten für den Vatikan
unvorstellbar. «Es wäre ein sehr ungerechtes und unbedachtes
Unterfangen, die Kirche in der Ausübung ihres Amtes der politischen
Gewalt unterwerfen zu wollen», heißt es in der päpstlichen Enzyklika

«Immortale Dei» aus dem Jahr 1885.

Für traditionalistisch eingestellte Katholiken ist - ebenso wie für
evangelikale Protestanten - auch heute noch eine Oberhoheit des
Staats über den Glauben nicht akzeptabel. Nachzulesen ist das im
Internet-Forum kath.net: «Wäre noch ein Glaube vorhanden, wäre die
Heilige Messe gegenüber dem Staat verteidigt worden», schreibt ein
Nutzer namens Diadochus dort in einem Kommentar.

Zu den «Rebellen» zählt auch Franz Xaver Brandmayr, Rektor des
Päpstlichen Instituts Collegio Teutonico in Rom. Wenn ein Gläubiger
die Kommunion empfangen wolle, werde er das nicht verweigern, so der
Geistliche zu den «Vatican News». «Da hört für mich der Gehorsam

auf.»