Wenn der Computer umkämpft ist - Erfahrungen mit dem Lernen zu Hause

Lernen auf Distanz, funktioniert das? Grundsätzlich ja, lautet das
Zwischenfazit mehr als eine Woche nach den Schulschließungen wegen
des Coronavirus im Südwesten. Dennoch gibt es auch Probleme.

Stuttgart (dpa/lsw) - Die Schüler schließen sich in virtuellen
Klassenzimmern zusammen, Aufgaben kommen per Mail, gelöst werden sie
zu Hause: So sieht das Lernen auf Distanz aus, wenn es denn
funktioniert. Seit Dienstag vergangener Woche sind die Schulen im
Südwesten geschlossen, um die Ausbreitung des Coronavirus zu
verlangsamen. Nicht überall klappt der Fernunterricht reibungslos. In
manchen Haushalten fehlt die technische Ausstattung, oder sie wird
von mehreren Familienmitgliedern gleichzeitig beansprucht, da nun
auch viele Eltern im Homeoffice arbeiten. Die Gewerkschaft Erziehung
und Wissenschaft (GEW) sorgt sich um Schüler aus prekären Haushalte
n.


GEW-Landeschefin Doro Moritz sagte: «Wir haben die Situation, dass
nicht alle Schüler erreicht werden, und nicht jeder reagiert auf
Impulse aus der Schule.» Manchmal gebe es einfach keinen Computer im
Haushalt, oder es fehle ein Drucker, um Aufgaben auszudrucken. Es
komme aber auch vor, dass Schüler die Lage ausnutzten, um sich ganz
aus dem Schulunterricht zu verabschieden. Nach den Worten von Moritz
funktioniert immerhin die Lernplattform Moodle jetzt stabil und wird
rege genutzt. Lehrer machten sich aber Gedanken darüber, wie sie die
fertiggestellten Aufgaben der Kinder bewerten sollten. Niemand wisse
schließlich, ob nicht Papa oder Mama die Aufgabe gelöst hätten.

Raphael Fröhlich, Schüler einer zehnten Klasse einer
Gemeinschaftsschule, sagte: «Es fehlen die kleinen Momente im
Schulalltag.» Seine Lehrerin bemühe sich aber sehr, Kontakt zu ihren
Schülern zu halten. Schülerin Jule Tovar, die in die neunte Klasse
einer Gemeinschaftsschule in Tübingen geht, erklärte, dass sie zum
Lernen in den Keller gehe. Sie habe dort einen Tisch reingestellt.
«Da habe ich mein eigenes Büro, wo ich lerne.» Um sich täglich neu
zu
motivieren, telefoniere sie oft mit Freunden. Man spornt sich
gegenseitig an. «Ich kriege dann mit, wie weit die anderen sind.»

Hannah Beck, die als Lehrerin an einer Gemeinschaftsschule in
Tübingen unterrichtet, meinte: «Man muss einfach Wege finden, um
beieinander zu bleiben.» Sie warnte vor einer «wilden
Materialschlacht». Das Material müsse vielmehr so aufbereitet werden,
dass die Schüler damit gut allein zurechtkämen. Martin Felber,
Schulleiter einer Gemeinschaftsschule in Ulm, erzählte von Lehrern,
die das Schulmaterial selbst vor die Tür legten, wenn es in einem
Haushalt keine Computer oder nicht das nötige Internet gebe.

Der Landeschef des Philologenverbandes, Ralf Scholl, bilanzierte, das
Lernen auf Distanz funktioniere nach dem ersten Eindruck relativ gut.
«Aber es gibt Probleme in Familien mit vielen Kindern und nur einem
Computer», sagte auch er. Das größte Problem wird seiner Einschätzu
ng
nach sein, die Schüler bei der Stange zu halten und zu motivieren,
wenn die Ausnahmesituation länger andauere. Die Motivation der
Schüler bezeichnete er schon jetzt als «schwankend». Der
Philologenverband vertritt die Interessen von Gymnasiallehrern.

Der Vorsitzende des Landesschülerbeirats, Leandro Cerqueira Karst,
beklagte, dass es in Baden-Württemberg keine einheitlichen Regeln für
das E-Learning gebe. Wie gut der digitale Unterricht funktioniere,
hänge auch sehr von den jeweiligen Schulen und den Lehrern ab. Aber
er meinte: «Im Großen und Ganzen klappt es den Umständen entspreche
nd
gut.» Die Lehrer seien sehr darum bemüht, Schüler mit kreativen Ideen

bei Laune zu halten. Klar sei dabei auch, dass Gymnasiasten kurz vor
dem Abitur eine andere Betreuung bräuchten als Fünftklässler.

Die Landeschefin des Realschulverbandes, Karin Broszat, lobte: «Wir
erleben nach einer kurzen Schockstarre, eine so noch nicht da
gewesene Kreativität, was die Verständigung über digitale Medien
angeht.» Der Umgang damit funktioniert zwar mal besser und mal
schlechter, aber er funktioniere überall. «Der Kontakt zu unseren
Kindern ist hergestellt. Dazu benutzen die Lehrkräfte die
unterschiedlichsten Wege: Moodle, Mebis und Co. oder einfach Mails.»

Das Kultusministerium zog ein überwiegend positives Zwischenfazit
nach Rückmeldungen von Lehrern, Eltern und Schülern. Eine Sprecherin
teilte mit, viele Lehrer setzen sich auch telefonisch mit ihren
Schülern in Verbindung. Manche Schulen und Lehrer böten
Telefonsprechstunden oder Klassenchats zu festen Zeiten an. Das
Ministerium will die Erfahrungen mit dem digitalen Lernen und dem
Lernen auf Distanz für die Zeit nach Corona bewerten. «Wir sind davon
überzeugt, dass wir alle auch aus einer solchen Krise etwas lernen
und neue Ideen und Erfahrungen daraus entwickeln können.»