Mundschutz ja - Beatmungsgeräte nein - Teile vielleicht Von Christof Rührmair, dpa

Die Welt braucht zur Zeit mehr Beatmungsgeräte und weniger neue
Autos. Warum nicht einfach die Produktion umstellen? Weil es alles
andere als einfach ist.

München (dpa) - Die Coronakrise hat zu einem sprunghaft gestiegenen
Bedarf an einigen Produkten der Medizintechnik geführt. Neben
Atemmasken und Desinfektionsmitteln stehen auch Beatmungsgeräte auf
den Einkaufslisten. Die Hersteller produzieren auf Hochtouren, doch
beliebig lässt sich das nicht steigern. Da wirkt es naheliegend, die
Produktion anderer Unternehmen kurzerhand umzustellen. Doch das hat
enge Grenzen, wie Experten sagen.

«Auf einer Produktionslinie, die Autos herstellt, kann ich nicht
einfach Beatmungsgeräte herstellen», sagte Jean Haeffs,
Geschäftsführer der Fachgesellschaft Produktion und Logistik beim
Verein Deutscher Ingenieure (VDI). Auch Niklas Kuczaty,
Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Medizintechnik beim
Maschinenbauverband VDMA, sagte: «Bei komplexeren Produkten wie einem
Beatmungsgerät halte ich das für nicht realistisch - zumindest nicht
in den nächsten Wochen und Monaten.»

Eines der Probleme, auf die beide Experten hinwiesen, sind die hohen
Anforderungen an die Sicherheit von Medizintechnik. Gerade bei
Produkten wie einem Beatmungsgerät. «Wenn das ausfällt, ist der
Patient tot», sagte Kuczaty.

Die Folge sind unter anderem strenge und aufwendige
Dokumentationspflichten. Ein Verbandsmitglied habe eine genaue Kopie
eines bereits bestehenden Werkes errichtet, erzählte Kuczaty. «Er
musste trotzdem alles neu zertifizieren.» Die Vorgaben aufzuweichen,
hält er aber nicht für sinnvoll: «Es hilft ja keinem, wenn wir
Unmengen Beatmungsgeräte herstellen, und am Ende fehlt die Qualität
und es kommen Patienten zu Schaden.»

Mit entscheidend ist zudem die Komplexität der Systeme, wie Haeffs
erklärte. Insbesondere dann, wenn auch noch eine Zuliefererkette an
der Produktion beteiligt sei und man für die Montage Spezialwissen
benötige. «Man muss den Leuten die Hoffnung nehmen, dass man das
schnell umstellen kann», betonte er.

Dennoch gibt es offenbar Versuche: So hat die britische Regierung
bereits Tausende Atemwegsgeräte beim Hausgeräte-Spezialisten Dyson
bestellt - eigentlich ist die Firma vor allem für beutellose
Staubsauger bekannt. Allerdings müssen noch Sicherheitstests
erfolgen, und Dyson arbeitet mit einer Medizintechnik-Firma in
Cambridge zusammen.

Auch die beiden Experten sehen Möglichkeiten, wie branchenfremde
Betriebe helfen können - nur eben in niedrigeren Risikoklassen oder
bei weniger komplexen Produkten wie beispielsweise Mundschutzmasken.
Ein Unternehmen wie der Textilhersteller Trigema, das jetzt auch
Mundschutze herstelle, sei ein Paradebeispiel. Auch der Würzburger
Matratzenhersteller Schaumstoffe Wegerich produziert inzwischen
Mundschutze - wenn auch ohne Zertifizierung.

Doch es geht nicht nur um fertige Endprodukte, sondern auch um Teile.
Eine Möglichkeit sieht Haeffs bei den Herstellern ähnlicher Produkte,
wenn beispielsweise das Material das gleiche oder sehr ähnlich sei
und sich eigentlich nur die Form unterscheide, beispielsweise für
Luftfilter.

So können auch für komplexe Produkte wie Beatmungsgeräte Teile
hergestellt werden. Die beste Technik für eine schnelle Produktion
ist lauf Haeffs der 3D-Druck. «Wenn ich eine Konstruktionszeichnung
habe, die ich einlesen kann, und die entsprechenden
Kunststoffgranulate zur Verfügung stehen, dann ist das in einer
Stunde umgerüstet», sagte er. «Dann druckt es mir die entsprechenden

Teile.»

Doch auch beim 3D-Druck von Teilen gibt es Hürden für den Einsatz:
Zum einen sei das nur sinnvoll, wenn es Medizintechnikhersteller
gebe, die Kapazität für die Produktion, aber Lücken in der
Lieferkette hätten, die man mit gedruckten Teilen auffüllen könne,
sagte Kuczaty. Zum anderen müssten die Medizintechnik-Unternehmen
ihre Daten freigeben, wie Haeffs sagte. «Da sind die Hemmschwellen
sehr hoch.» Schließlich wollten die Unternehmen nicht potenzielle
Konkurrenten mit Wissen versorgen.

Mehrere branchenfremde Unternehmen prüfen gerade einen solchen
Einsatz von 3D-Druckern - unter anderem auch Volkswagen, wie ein
Sprecher bestätigte. Doch auch er verwies auf hygienische Standards,
Materialien, Anforderungen und dass man die Blaupausen brauchen
würde. Auch Siemens ist aktiv: Der Konzern hat sein
3D-Druck-Netzwerk, das Kapazitäten bei Firmen in der ganzen Welt
vernetzt, für medizinischen Bedarf geöffnet und will zudem mit seinen
Ingenieuren beim Druck helfen.

Ob es zum 3D-Druck kommt, dürfte unter anderem eine Frage der
Notwendigkeit werden, sagte Haeffs. «Wenn der Druck hoch genug wird,
aus politischer oder gesellschaftlicher Sicht, dann fallen diese
Schranken vielleicht.» Noch sei die Not dafür aber offenbar nicht
groß genug.