Bundestag verabschiedet Hilfspaket - Debatte um Exitstrategie

Berlin spannt einen Corona-Schutzschirm von vielen hundert Milliarden
Euro über Gesellschaft und Wirtschaft. Das gesetzliche Eilverfahren
ist noch nicht zu Ende - da kommt schon der Ruf nach einer
Exitstrategie.

Berlin (dpa) - Angesichts der bereits spürbaren Folgen der
Corona-Epidemie in Wirtschaft und Gesellschaft wird der Ruf nach
einer schnellen Umsetzung des beispiellosen staatlichen Hilfspakets
immer lauter. Vor allem viele Klein- und Kleinstunternehmer leiden
schon jetzt unter den massiven Einschränkungen.

Der Schutzschirm für Familien, Mieter, Beschäftigte, Selbstständige
und Unternehmen nahm indessen die zweite Hürde. Der Bundestag stimmte
dem Paket, das das Kabinett zu Beginn der Woche auf den Weg gebracht
hatte, am Mittwoch mit großer Mehrheit zu. Am Freitag soll der
Bundesrat folgen - wieder im Eilverfahren. Hier sind aber nicht alle
Einzelgesetze zustimmungspflichtig.

Vor diesem bedrohlichen Hintergrund kam in der Debatte, aber auch
außerhalb des Bundestages der Wunsch auf, schon jetzt über
Exitstrategien aus dieser historisch schweren Krise
nachzudenken. Damit sollen dauerhafte Schäden vermieden werden. Die
Kritik aus der Opposition: Bislang fehle ein Plan für das, was nach
Ostern beziehungsweise in zwei oder drei Monaten notwendig sein wird.

Etliche Redner schlossen nicht aus, dass beim Hilfspaket nachgelegt
werden muss. Schon mit dem jetzigen Paket bringt die Bundesregierung
gewaltige Summen auf. Nach sechs Jahren ohne neue Schulden fällt die
schwarze Null im Bundeshaushalt: Das Kabinett beschloss einen
Nachtragshaushalt mit einer Neuverschuldung von rund 156 Milliarden
Euro. Dafür setzte der Bundestag eine Notfallregelung in Kraft.

Kleine Firmen und Solo-Selbstständige wie Künstler und Pfleger sollen
über drei Monate direkte Zuschüsse von bis zu 15 000 Euro bekommen.
Über einen Stabilisierungsfonds bis zu 600 Milliarden Euro sollen
Großunternehmen mit Kapital gestärkt werden können. Der Staat soll
sich notfalls auch an Firmen beteiligen können. Das Insolvenzrecht
soll gelockert werden. Bereits am Montag startete ein unbegrenztes
Sonder-Kreditprogramm der staatseigenen Förderbank KfW.

Außerdem sollen Vermieter ihren Mietern nicht mehr kündigen dürfen,
wenn diese wegen der Krise ihre Miete nicht zahlen können. Familien
mit Einkommenseinbrüchen sollen leichter Kinderzuschlag bekommen. Mit
erweiterten Regelungen zur Kurzarbeit sollen Unternehmen Beschäftigte
leichter halten können. Krankenhäuser sollen mit mehr als drei
Milliarden Euro unterstützt werden.

Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann (CDU) forderte ein Ende der
wirtschaftlichen Auszeit nach Ostern. «Für die gesamte
Volkswirtschaft und unseren Staat wird der Schaden nachhaltig und
über Jahrzehnte nicht kompensierbar sein, wenn wir nicht spätestens
nach Ostern die Wirtschaft wieder schrittweise hochfahren», sagte
Linnemann der «Bild»-Zeitung (Mittwoch).

Auch der FDP-Vorsitzende Christian Lindner forderte eine
«Exit-Strategie». Die jetzigen Beschränkungen seien verhältnismä
ßig.
Der aktuelle Zustand passe aber nicht zu einer offenen Gesellschaft,
gefährde die Wirtschaft und auch den sozialen Frieden. Da «schon in
der allernächsten Zeit die Akzeptanz der Menschen sinken könnte»,
müsse der Zustand «Schritt für Schritt, aber so schnell wie möglich
»
überwunden werden.

AfD-Fraktionschef Alexander Gauland mahnte ebenfalls, die Regierung
müsse auch einen langfristigen Plan vorlegen. Die Menschen wollten
wissen, was geschehe, «wenn es in drei Monaten immer noch keine
Entwarnung gibt».

Unionsfraktionsvize Andreas Jung sprach sich für einen Tilgungsplan
für die Kredite aus, die während der Corona-Krise auflaufen. Ein
Tilgungsplan sei ein Versprechen an die Kindergenerationen, ihnen
nicht die Schulden der jetzigen Krise zu überlassen.

Bereits vergangene Woche hatte Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) im
«Spiegel» angedeutet, dass irgendwann der Zeitpunkt kommen könnte,
«an dem man zur sogenannten Umkehrisolation übergeht». «Die jünge
re,
gesunde Bevölkerung kann dann wieder zu einem tendenziell normalen
Leben übergehen. Aber die älteren und vorerkrankten Patienten werden
auch dann weiter mit Einschränkungen leben müssen.»

Der AfD-Abgeordnete Paul Hampel argumentierte, besser als «die
gesamte Wirtschaft auf Null zu stellen» wäre es, alte Menschen und
Bürger mit Vorerkrankungen unter besonderen Schutz zu stellen - etwa
durch Quarantäne in aktuell geschlossenen Hotels.

In der Generaldebatte des Bundestages appellierte Vizekanzler Olaf
Scholz (SPD) an alle: «Vor uns liegen harte Wochen. Wir können sie
bewältigen, wenn wir solidarisch sind.» Der Finanzminister wie auch
Abgeordnete dankten Ärzten, Verkäufern, Busfahrern und anderen, die
trotz des Infektionsrisikos das öffentliche Leben am Laufen halten:
«Sie leisten Großes in diesen Tagen», sagte Scholz.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nahm an der Sitzung nicht teil, da sie
sich zuhause in Quarantäne befindet. Der erste sowie auch der zweite
Test auf eine Corona-Infizierung waren negativ. Unionsfraktionschef
Ralph Brinkhaus kündigte eine schnelle Umsetzung der Hilfspakete an.

Linke-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali forderte einen Zuschlag von
monatlich 500 Euro für systemrelevante Beschäftigte im
Gesundheitswesen, im Einzelhandel oder bei Berufskraftfahrern.
Multimillionäre und Milliardäre sollten eine Sonderabgabe leisten.
Auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte, möglicherweise müsse bei

den Hilfspaketen nachgelegt werden.

Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Thorsten Frei
verteidigte die verschärften Grenzkontrollen. Es gehe um
Gesundheitsschutz, nicht um Abschottung.